Glens, Bens und Midges
Ungewollt der längste Radltag der vergangenen vier Monate.
Von Oban nach Fort William
21. bis 23. Juli 2024
Leo macht Porride, ich spendiere Crumpets. Nach dem Toaster suchender Blick durch die Küche, jeder Quadratzentimeter Arbeitsfläche vollgestellt. Zamgepackt Abschied nehmen und das Rad den steilen Hügel runterschieben. Dankbar das Sauwetter vom Vortag durchtaucht zu haben.
25 km zur Creagan Bridge. Der Nebel verdichtet sich, Nieselregen. Einige nette Ausblicke am Loch Creran, sonst unspektakulär hinter Baumreihen den Radweg entlang der A828.
Nochmal 25 km und auf der Ballachulish Bridge über das Loch Leven. Hinter der Brücke lückenlose Auto-, Lastwagen- und Campervankolonnen. Die Straße für ein Sandwich von der Tanke überqueren unmöglich. Die A82 führt von Glasgow hierher und entlang dem entlang dem Loch Linnhe nach Fort Williams. Auch für Radler:innen an diesem Punkt der direkteste Weg nach Fort William.
Ein paar Kilometer weiter bei Corran mit der Fähre übersetzen und auf der ruhigen A861 am andern Ufer des Loch Linnhe nach Fort William. Der Nebel lichtet sich und gibt den Blick auf die spektakuläre Landschaft frei. Froh nicht auf der A82 zu sein.
15 km in Abgeschiedenheit entlang dem Loch Linnhe. Ein rundumverglastes Wartehütterl markiert die Anlegestelle der Fähre zurück ans andere Ufer nach Fort William. Die Fähre geht Montag bis Samstag, heute ist Sonntag. Auweia.
Der kürzeste Weg nach Fort William die komplette Umrundung des Loch Eil, knapp 40 km. Es hilft nix, abschalten und treten. Die wilde Berglandschaft nur am Rande wahrnehmen. Proviant aufstocken beim Co-op in Corpach. Wenig weiter der Blick auf das Glen Nevis.
Glen ist die Anglisierung des gälischen Worts Gleann und bedeutet ‘Tal’.
Nevis verweist auf Ben Nevis, den mit 1.345 Metern höchsten Berg Großbritanniens der sich über das Tal erhebt.
Ben, oder gälisch Beinn bedeutet ‘Gipfel’.
Die exakte Bedeutung von Nevis ist unklar.
Um halb sieben fix und fertig im Youth Hostel am Fuß des Ben Nevis ankommen. Neun Stunden Fahrt. Lang duschen, viel essen und bis spät in einem Sofa in der gemütlichen Stube liegen.
Die Zimmergenossen stehen früh auf, die meisten wollen Ben Nevis hoch. Zwei Burschen aus den USA trampen und wandern ohne Handy, die letzten zwei Wochen schlafen sie draußen. Sie wandern in Sandalen bzw. Chelsea Boots, der eine meint normalerweise wandere er barfuß.
Spät frühstücken im sonnendurchfluteten Esszimmer. Eine Frau und ein Mann in Warnweste führen drei schottische Hochlandrinder an der Leine.
Einige Stunden schreiben und die nächsten Etappen organisieren. Wie ich am frühen Nachmittag auf der Terrasse die Kette abziehe kommen die beiden Amerikaner zurück vom Gipfel. Die gut 1.300 Höhenmeter in dreieinhalb Stunden.
Der Hinterreifen in kritischem Zustand, an mehreren Stellen scheint die Karkasse durch. Reinradln nach Fort William und beim Nevis Cycles einen billigen Touringreifen kaufen.
Vier Uhr Nachmittags, strahlender Sonnenschein. Mit Jacke, Fannypack und Wasserflasche aufbrechen Richtung Ben Nevis. Das Hostel liegt auf 20 Meter, 1.325 Höhenmeter zum Gipfel.
Hunderte Menschen am Abstieg, einige wenige wandern hoch. Knapp nach zehn geht die Sonne unter, genug Zeit. Jedes Jahr besteigen gut 150.000 Menschen Ben Nevis.
Breite Stufen aus groben Steinen schlängeln sich den steilen Hang hoch. Am Lochan Meall an t-Suidhe langsam einsamer, der See ein mattschwarzer Spiegel. Weiter hoch auf losem Schotter der Anstief flacher und immer unschwierig. In der Ferne Loch Eil, der gestrige Umweg.
Winzige Fliegen landen auf Hände und Nacken. Sie beißen. Culicoides impunctatus bzw. Midges. Flügelspannweite 1,4 mm, im Wind verweht, beißt nicht durch Kleidung. Eigentlich halb so wild würden sie nicht in großen Schwärmen auftreten. Laut Schätzungen der Universität Edinburgh schwirren am Höhepunkt der Saison gut 180 Billionen Midges durch die Highlands. An diesem Nachmittag hält sie die Sonne einigermaßen in Schach.
Der Gipfel weitläufig, steinig und komplett im Nebel. Die Chance auf klare Sicht am Ben Nevis liegt bei 10 %. Windig und kalt. In den Ruinen der ehemaligen Wetterstation bauen ein Bub und Vater ihr Zelt auf. Gespenstische Stille, am Boden Orangenschalen.
Nach wenigen Minuten Abstieg schon wieder feinste Abendsonne. Ein mächtiger Hatscher, am Ende schlottern die Oberschenkel. Sogar um acht trifft man noch Leute im Aufstieg. Der Muskelkater kommt bestimmt.