The Western Isles
Die Inseln westlich des schottischen Festlands gehören zum Archipel der Hebriden. So etwa die Isle of Skye. The Little Minch, eine Meerenge entlang der Nordwestküste von Skye trennt die Inneren von den Äußeren Hebriden, den Western Isles.
Von Portree nach Stornoway
28. bis 30. Juli 2024
Spät aufstehen. Alex sitzt in der Lounge vor Puzzle und Geburtstagskuchen. Ravel hat ihn für sie gekauft, auch Kerzen aber die beiden haben kein Feuerzeug. Ich schon, schnell die 16 Kerzen anzünden vors der Warden sieht.
Die beiden fahren am Abend mit dem Bus weiter nach Inverness. Ich peile die Abendfähre um halb sieben nach North Uist an. Genügend Zeit für eine kleine Runde durch Portree. Steine übers Wasser springen lassen am Hafen, ein ramschiger Thrift Shop am Kai, ein netter Buchladen gegenüber dem Co-op. Portree ist voll mit asiatischen Touris.
Früher Nachmittag, Ravel fährt mit dem Bus zum Old Man of Storr. Mit Alex im Hostel Kaffee trinken und Abschied nehmen.
Auf der A855 fünf Kilometer bergauf, raus aus Portree und auf die Trotternish Halbinsel. Die Straße voller Campervans und anderen motorisierten Ausflüglern. Mit grandiosem Ausblick über eine weite Hochebene, vorbei an Loch Fada, Loch Leathan und dem Old Man of Storr.
Die etwa 50 Meter hohe Felsnadel und restliche Trotternish Ridge entstehen in einem gigantischen Erdrutsch vor gut 60 Millionen Jahren. Riesige Lavamassen ergießen sich auf fragilere Schichten aus Sedimentgestein und bringen diese zum Einsturz. Stehen bleibt die Steilwand aus vulkanischem Basalt. Einzigartige Felsformationen die jeder und jede sehen will.
Mit Rückenwind 20 km die Steilküste entlang nach Staffin. Hinter dem kleinen Ort führt eine einspurige Straße zum Staffin Beach. Der Parkplatz voll, Menschen spazieren mit gesenkten Köpfen den Strand entlang. Vor etwa 166 Millionen Jahren liegt Skye südlich des Äquators, ein Rudel Megalosauri läuft durch den Sand. Ihre riesigen Fußabdrücke heute Fossile im Sedimentgestein.
Langsam wirds spät, noch 15 km nach Uig. Kalorien tanken und losradln. Die einspurige Quiraing Road führt über einen gut 250 Meter hohen Pass nach Uig, der direktere Weg als die flache A855. Kurz vor der Abzweigung auf die Passstraße reißt das Schaltkabel. Hektisch am Straßenrand das Kabel tauschen und nahe am Maximalpuls den Pass hochhetzen. Zu viele Touris düsen in ihren Autos und Campervans für einen tollen Ausblick die enge Passstraße hoch. Stau an den Passing Places. Zur linken grandiose Blicke auf die Trotternish Ridge.
Auf den letzten Höhenmeter Blick zurück auf den Quiraing. Die Steilwände aus schwarzem Basalt markieren die Abbruchkante des massiven Erdrutsches vor gut 60 Millionen Jahren.
Am Pass ein voller Parkplatz. Den Fährfahrplan im Nacken ohne Pause weiterradln nach Uig. Die weite Hochebene fällt sanft in Richtung Meer ab, auf dieser Seite des Passes kaum Verkehr. Den letzten Kilometer auf Serpentinen steil runter nach Uig. Die Fähre nach Lochmaddy um halb sieben geht sich aus.
Die bisher längste Fährenfahrt in Schottland, fast zwei Stunden nach North Uist, eine Insel in der südlichen Hälfte der Äußeren Hebriden. Die Calmac Sicherheitsdurchsage ertönt auf Schottisch-Gälisch. Am Fenster das offene Meer. Fast 60 % der Bewohner:innen der Äußeren Hebriden sprechen die indigene Sprache, der höchste Anteil in ganz Schottland.
Ankunft nach acht, ein Ticken frischer als am Festland. 20 km nach Berneray, von hier geht die Fähre nach Lewis and Harris, die nördliche Hälfte der Äußeren Hebriden. Losradln auf der ausgestorbenen A865. Endlose Graslandschaft, verästelte Lochs und zahllose winzige Inseln. Eine Handvoll verstreuter Häuser, das Gefühl völliger Abgeschiedenheit.
Die Abendsonne bricht durch die Wolkendecke und vergoldet die braunen Grashalme. Auf den Schafweiden immer wieder Gruppen von Wildgänsen die im Vorbeiradln unter lautem Geschrei davonfliegen. Alles zieht lange Schatten.
Eine Brücke verbindet Berneray mit North Uist. Die morgige Fähre nach Lewis and Harris liegt schon vor Anker.
Noch fünf Kilometer zum East Beach von Berneray. Auf dem Grashang hinter dem weißen Sandstrand stehen ein paar einsame Campervans und Zelte. Die Sonne schon hinterm Horizont, rosa Wolken im Osten. Ein Platzerl suchen, Zelt aufstellen und runter zum Strand. Die Stinkefüße waschen im eiskalten glasklaren Wasser.
Am frühen Morgen ein Regenschauer, dann Sonnenschein, die Bucht türkisblau. Früh aufstehen und zampacken, die Fähre nach Leversburg geht um halb zehn.
Die Fähre gut ausgelastet, niemand fragt nach einem Ticket. Der Ehrlichkeit halber zum Minibüro am Aussichtsdeck, der Mitarbeiter in neongelber Warnweste und Plastikhelm scheint verwundert wie ich ihn um ein Ticket bitte.
Eine knappe Stunde später in Leversburg am südlichen Ende der Insel Lewis and Harris. Wasser auffüllen im Warteraum am Hafen. Den plötzlichen Regenschauer aussitzen. Eine dicke Frau in Trainingsanzug, ihr Sohn versunken in seine Nintendo Switch. Der Regen treibt eine Gruppe Wandernder in den Warteraum. Bald scheint wieder die Sonne.
Eine einspurige Straße durch endloses Moor. Entlang der Straße immer wieder Spuren von Torfstich, die Stichflächen perfekt senkrecht und nass-glänzend. Selten überholt ein einsames Auto an einem der zahlreichen Passing Places.
Die Straße führt an die Südostküste von Harris, gletschergeschliffenes Gestein durchsetzt die Landschaft. Absolute Menschenleere. Steil hügelig die steinige Küste entlang, Schwung holen schwierig wegen des angeschlagenen Hinterrads.
Entlang der Küste doch immer wieder kleine entlegene Siedlungen. Kurz nach Fionnsbhagh eine Menschentraube. Ein Mann sitzt im Gras und spielt auf einer Holzflöte, die übrigen richten ihre Kameras aufs Meer. Der Flötenspieler ein Tourguide, das Fotomotiv eine Gruppe Robben die uns demonstrativ den Rücken zukehrend auf kleinen Felsinseln in der Bucht liegt. Wie der Tourbus davonbraust blicken sie sich verstohlen um.
Dicke Tropfen fallen, nass werden auf den 15 km zurück zur A859. Fünf Kilometer sanfte Abfahrt nach Tarbert mit grandioser Aussicht.
In Tarbert Snacks aus dem Supermarkt holen und auf einem Bankerl in der Sonne futtern. Schon ziemlich schlapp fühlen, das Navi sagt noch 60 km nach Stornoway.
Fünf Kilometer die sonnige Küste entlang und 200 Höhenmeter eine Passstraße hoch, den Wind zum Glück im Rücken. Die höchsten Gipfel von Harris in dichten Nebel gehüllt.
Die einsamen Landschaften verschmelzen, der ständige Wind in den Ohren zehrt. Das Gefühl für die Distanz verlieren, irgendwann flacht die Landschaft ab und der Verkehr nimmt zu. Die letzten 30 km nach Stornoway im Autopilot.
Geschlaucht ankommen beim Heb Hostel im Zentrum von Stornoway. Ein junger phlegmatischer Volunteer mit starkem französischem Akzent lässt mich rein. Die einzige Zimmergenossin eine ältere Radlerin aus England.
In der Küche eine Riesenportion Curry kochen und mit vollem Bauch in eines der Ledersofas im gemütlichen Wohnzimmer sinken. Die ältere Radlerin schenkt mir ein kleines Glas Whisky ein. Eindösen zu Chopins Nocturnes.
Zehn Stunden schlafen wie ein Stein. In der Küche beim Frühstück eine junge Frau aus Nordirland und Hubert, ein älterer Österreicher mit schläfrigem Blick und langem schütterem Haar. Für jeden Satz braucht er eine gefühlte Ewigkeit. Die junge Frau reist zusammen mit ihrer Mutter die so schnell Englisch spricht, dass ich oft um Wiederholung bitten muss. Beide sprechen Irisch-Gälisch und suchen den Kontakt zu den Schottisch-Gälisch-Sprechenden auf Lewis and Harris. Die beiden Sprachen sind großteils gegenseitig verständlich.
Am späten Vormittag sind alle ausgeflogen. Bei der Gastgeberin Christine um eine Nacht verlängern und zum Tippen ins Wohnzimmer setzen. Am Sonntag ist auf den Äußeren Hebriden so ziemlich alles geschlossen. In der Gemeinschaftslade in der Küche ein Packerl Instant-Ramen finden.
Eine Schweizer Großfamilie checkt ein und poltert durchs Haus, draußen der sonnige Nachmittag. Die ältere Radlerin meinte in der Früh, sie wolle zu einem Stand radln und baden, ich bekomme auch Lust. Im frischen Wind zur Tankstelle an der Sandwick Road, der einzige offene Laden am Sonntag. Der Laden voll die Regale leer, mit Bounty und Erdnüssen auf der B895 die Ostküste von Lewis entlang.
Eigentlich will ich zum Garry Beach aber die 25 km Rückweg im Gegenwind schrecken ab. Nach guten zehn Kilometern beim Gress Beach das Radl anketten. Der Strand fast 200 Meter breit, es herrscht Ebbe. Lange herumlatschen auf der Suche nach einem Badeplatz, das Meer viel zu seicht.
Vor die Düne am Ende des Strands setzen, Nüsse knabbern und lange aufs Meer schauen. Es ist eh viel zu kalt.
Hinterm Strand das Gress Raiders Monument, ein wellenförmiger Graben umgibt eine Skulptur aus geschichteten Steinen. Der Graben symbolisiert die Schützengräben des Ersten Weltkriegs in denen auch lokal ansässige Crofter standen.
Als Crofter bezeichnet man in Schottland Subsistenzbauern die auf gepachtetem Land leben. Ursprünglich bewirtschaften die Bewohner:innen der Dörfer in den Highlands das umliegende Land gemeinschaftlich. Mitte des 18. Jahrhunderts geraten die Landbesitzer zunehmend unter wirtschaftlichen Druck. Um den Ertrag ihrer Ländereien zu steigern verpachten sie den Bauernfamilien fixe Parzellen, vor allem in schlechten Lagen entlang der Küste. Bei der Umsiedelung zerbrechen die Bauerngemeinden. Auf dem bisher von ihnen bewirtschafteten Land entstehen große Schaffarmen.
Anfang des 19. Jahrhunderts die zweite Phase dieser sogenannten Highland Clearances: Die Landbesitzer beenden die Pachtverträge der Crofter. Sie wollen auch das restliche Land für die profitablere Schafzucht nutzen. Die Crofter vertreibt man mit Gewalt oder bezahlt ihnen die Überfahrt nach Nordamerika. 1886 beendet der Crofters’ Holdings (Scotland) Act die Vertreibungen und gewährt den Crofter einen Rechtsanspruch auf Pachtland.
Die Gress Raiders formieren sich 1919 also lange nach dem Crofters’ Holdings (Scotland) Act. Wenige Jahre zuvor kauft der englische Industrielle William Lever die gesamte Insel Lewis and Harris um heute umgerechnet 25 Millionen Pfund. Er will die Insel industrialisieren und weigert sich signifikante Teile seines Besitzes an die Crofter zu verpachten. Es folgen Land Raids, die Kriegsrückkehrer besetzen, unterteilen und bewirtschaften das Land auf eigene Faust. Wenige Jahre später gibt sich William Lever geschlagen und zieht sich von Lewis and Harris zurück.
Dichte Wolken ziehen auf, im stürmischen Gegenwind auf dem Heimweg. Hinter Coll noch ein langer Strand, am südlichen Ende ein nur schmaler Streifen Sand. Die Abzweigung zum Strand nehmen, im kühlen Wind nackig ausziehen und weit rein ins eiskalte Meer laufen. Wieder angezogen Adrenalin, brennende Haut und unkontrolliertes Zittern. Erst wieder unter der Dusche richtig warm werden.
Die Küche voller Menschen, eine Weile ins Zimmer legen. Hubert mein neuer Zimmergenosse, im gestrigen Zimmer schlafen die Schweizer. Um halb zehn schließt Hubert die Jalousien und legt sich schlafen, ich gehe in die Küche. Spätes Abendessen mit der jungen Nordirin, ihrer schnell sprechenden Mutter und einer Radlerin aus Paris die ich schon im Hostel in Portree gesehen habe. Zu lange im Wohnzimmer sitzen bleiben.