In einer Mulde weißer Haseln
Von Llanberis nach Conwy
11. und 12. Juli 2024
Das schlechte Wetter hält sich, auch am dritten Tag in Llanberis dichter Nebel und Regen. Wieder pflanzliches Full English, es reicht schon wieder mit den Baked Beans. Eine Weile herumtrödeln aber keine Wetterbesserung in Sicht. Das Hostel schon verwaist, ich muss für eine Lieferung von sechs Kisten Rapsöl unterschreiben. Zeit aufzubrechen.
Talfahrt, die Geschwindigkeit lässt den Regen peitschen. Tropfen laufen über Helm, Gesicht und Jacke in die saugfähige Hose. Die Orientierung liegt in der Lenkertasche, die Brille voller Tropfen. Wann abbiegen? Die Hände zu nass für den Touchscreen.
Mit Erreichen der A487 die ganze Höhe verloren. Die Sustrans Route führt einen nervtötend schmalen Gehsteig an der viel befahrenen Straße entlang. Auf der Menai Bridge Baustelle mit Einspurverkehr und Ampel. Die Autokolonne hetzt mich über die schöne Kettenbrücke.
Nach der Brücke wieder Gehsteigradln an der A5. Endlich innehalten bei einem Aussichtspunkt.
Die Menai Bridge verbindet die Insel Anglesey mit dem walisischen Festland. Vor der nordwestlichen Küste von Anglesey noch eine Insel, das Holy Island. Von Holyhead legen die Fähren nach Dublin ab. Der Freund erst in einer guten Woche in Dublin und die Reiselust abnehmend. Irland streichen und direkt weiter nach Schottland.
Warum also überhaupt nach Anglesey? Wegen der Menai Bridge und Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch. Der Name des Ortes bedeutet:
Marienkirche (Llanfair) in einer Mulde (pwll) weißer Haseln (gwyn gyll) in der Nähe (goger) des schnellen Wirbels (y chwyrn drobwll) und der Tysiliokirche (llantysilio) bei der roten Höhle (gogo goch).
Also einen ziemlichen Blödsinn.
Umgetauft in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Ziel Touris anzuziehen.
Funktioniert!
Viktoriya lernt den unnedigen Namen auswendig, Chapeau!
Die wirkliche Pointe die Gemeindepartnerschaften von Llanfairpwll… mit le in den Niederlanden und Y in Frankreich.
Abgesehen vom langen Namen gibts wenig in Llanfairpwll. Am Bahnhofsparkplatz drängen sich Reisebusse, Touris strömen in den Souvenirladen, vom Himmel strömt der Regen. Fröstelnd auf einer Parkbank sitzen und Krapfen essen.
Zurück zur Menai Suspension Bridge. Diesmal das Rad am Gehsteig rüberschieben und in Ruhe die Schönheit der Konstruktion wahrnehmen. Fertiggestellt 1826, die erste größere Kettenbrücke der Welt.
Ein kurzes Stück weiter nach Bangor. Wie Aberystwyth, eine kleine walisische Universitätsstadt. Der Regen vorüber, die nackten Wadln frösteln trotz Bewegung im kalten Wind. In einem Pub nahe dem Hafen bei einer Kanne Tee aufwärmen.
Noch etwa 25 km nach Conwy. Die Sustrans Route 5 folgt einem gut ausgebauten Radweg entlang der Autobahn. Am Horizont die nördlichsten Ausläufer des Eryri, die Hänge violett von Heideblüten. Der Küste vorgelagert und mit dieser über eine Landzunge verbunden, der Great Orme, ein kleines Kalksteinmassiv.
Zwischen den Hügeln durch bald der Blick auf Conwy bzw. die mittelalterliche Burg. Wie schon die Burg in Harlech baut Edward I. Conwy Castle gegen Ende des 13. Jahrhunderts während seines Eroberungsfeldzugs in Wales. Zwei weitere solcher Burgen stehen in Caernarfon und Beaumaris.
Versteckt hinter der Brücke der stark befahrenen A547 führt eine elegante Kettenbrücke über den River Conwy. Fertiggestellt, wie die Menai Bridge, 1826 vom selben Baumeister, Thomas Telford. Am Ende der Brücke eine Miniaturburg, das Toll House. Bis ans Ende des 19. Jahrhunderts lebt hier die Familie von David und Maria Williams und hebt Tag und Nacht die Brückenmaut ein.
Die Burg und Stadtmauern des Ortes sind UNESCO Weltkulturerbe, spontan findet sich also keine leistbare Unterkunft. Knappe 10 km weiter ein günstiger Campingplatz. Die Dinarth Hall ist eine echte Farm, auf der weiten leeren Zeltwiese ein Hauch Mistaroma in der Luft. Der eingezäunte Bereich für Camper gut besucht, auf dem grobschlächtigen Zaun aus geschälten Baumstämmen sitzt eine Schar großer Saatkrähen.
Eine gatschige Straße führt vorbei an dem in die Jahre gekommenen Sanitärblock und den riesigen Ställen zur Rezeption. Im Panoramafenster des alten Wohnwagens schauen drei Jack Russel Terrier lethargisch in die Ferne. 10 £ pro Nacht.
Um halb 5 am Morgen wecken Raben und Möwen mit ihrem Gekreische trotz Ohrenstöpsel. Regen prasselt gegen die Zeltwand. Nach dem Frühstück noch einen Zehner zum Wohnwagen tragen und zurück nach Conwy radln.
Viktoriya und Hristina verbringen zwei Rest Days am Ende ihrer Tour in Conwy. Gemeinsam die alten Stadtmauern abspazieren und durch den Ort streunen. Im Knight Shop gegenüber vom Castle bekommt man einen kompletten Harnisch um läppische 1.500 £.
Am Kai von Conwy Fischgeruch und aufgestapelte Krebskörbe. Mit dem Rücken zur Stadtmauer ein winziges knallrotes Haus, das vermeintlich Smallest House in Britain. Erbaut im 16. Jahrhundert und bewohnt bis ins Jahr 1900, ironischerweise zuletzt von dem Fischer Robert Jones der sich mit seinen 1.91 Meter Körpergröße drinnen nie aufrichten konnte. Zwei Stöcke mit je fünfeinhalb Quadratmeter.
Lange in L’s Coffee & Bookshop sitzen und plaudern. Fürs Lulu mit dem Kassazettel in der Hand drei Häuser weiter ins elegante Castle Hotel. Am Lancaster Square die Stadtmöwen beobachten und zum dritten Mal Abschied nehmen.
Allein zurückradln auf den Campingplatz, die Sonne setzt sich langsam durch. Es ist später Freitagnachmittag, Wochenendtouris bevölkern die Zeltwiese.
Um nicht am tristen Campingplatz sitzen zu müssen Spaziergang ins nahe Rhos-on-Sea. Mit einem Strawberry Cornetto vom Co-op zum einzigen fußläufig erreichbaren Lokal, ein bummvolles Grillrestaurant. Hier kann ich nicht schreiben, umgeben von Suburbia-Wüste das einzige Bankerl im Schatten der Friedhofskirche finden. Bis zur Dämmerung zwischen Grabsteinen und Kirchenmauer am Laptop tippen.