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The rock does not understand English

Kohle in South Wales. Der Boom im 19. Jahrhundert lockt hunderttausende Arbeitsmigrant:innen in die walisischen Kohleminen, die meisten von ihnen kommen aus England. Das Englische verdrängt das Walisische.

Schiefer in North Wales. Anfang des 20. Jahrhunderts sind die Steinbrüche von Llanberis und Bethesda die größten der Welt. Die Arbeiter nahezu ausschließlich Waliser. Man sagt nur ein Waliser könne den Stein ‘lesen’: The rock does not understand English, der Stein verstehe kein Englisch.

Ortsnamen in Wales oft mit doppel-L. Der Laut existiert im Deutschen nicht. Die Zungenspitze knapp hinter den Schneidezähnen an den Gaumen legen und an beiden Seiten der Zunge vorbeiblasen. Ertönen soll ein zischendes ‘chl’.

Machynlleth oder [maˈχənɬɛθ]
Llanberis oder [ɬanˈbɛrɪs]

Von Aberystwyth nach Llanberis

6. und 7. Juli 2024

Regengüsse am Morgen, froh nicht draußen zu schlafen. Die Etappe nach Machynlleth nur etwa 30 km, Zeit für eine Runde durch Aberystwyth. Taschen und Radl im Airbnb lassen und raus auf die nasse Straße. Die Regenjacke unnötig dabei, schnell bricht die Sonne durch die Wolkendecke.

Über die Bridge Street zu den Castle Grounds, verstreute Ruinen einer Burg im nassen Rasen. Blick nach links über den schon vertrauten South Beach und Leuchtturm. Rechts der North Beach, dahinter der Constitution Hill. Das prächtige Gebäude des Old College leider komplett in Gerüste gekleidet. Aberystwyth ist Universitätsstadt, auf die nur 18.000 Einwohner:innen kommen fast 9.000 Studierende.

Runterspazieren zur Bucht, hinter der Promenade reihen sich bunte viktorianische Häuser.

Ziellos durch die Gassen spazieren. In einem Post Office eine Postkarte mit Werbeplakatmotiv aus den 50er-Jahren kaufen. Aberystwyth, where Holiday Fun Begins steht dort. Im Starbucks an der Great Darkgate Street mühsam einen Tee bestellen und eine Stunde tippen.

Am frühen Nachmittag zurück ins Airbnb, einen Krapfen verschlingen und losradln. Aus der Stadt raus und auf der B4572 steil auf gute 100 Höhenmeter. Hügelig zwischen hohen Hecken durch Schafweiden. Am höchsten Punkt spektakulärer Blick auf die Bucht von Borth, dahinter die Ausläufer des Snowdonia bzw. Eryri National Park.

Ständig auf den Bremsen die Straße mit 25 % Neigung runter. Mittagspause auf einem Bankerl hinter dem endlosen Kiesstrand, die Sonne macht den kalten Wind erträglich.

Auf der ruhigen B4353 von Borth zur viel befahrenen A487, der einzigen Route nach Machynlleth ohne absurde Umwege. Sanft bergan auf 400 Höhenmeter, niedere Mauern aus geschichteten Schieferplatten säumen die Straße. Immer wieder an den Zufahrten stehen bleiben und eine Kfz-Kolonne vorbeilassen. Keine Huper.

Im Machynlleth die Taschen auf eine Parkbank an der Maengwyn Street legen und die Kette reinigen. Ein Junggebliebener mit Metallica-Sonnenbrille rollt auf seinem Fixie heran und fragt ob ich eine Pumpe hab. Beim Aufpumpen erzählt er von seinem Road-Trip von Wales nach Europa in einem um 100 £ gekauften Peugeot. In München geben die Bremsen auf und der Trip endet.

Wie die Kette wieder geschmiert ist radln Viktoriya und Hristina die Straße runter. Sie kommen mit dem Zug aus Aberystwyth um Zeit aufzuholen. Abendessen einkaufen beim Spar und gemeinsam zu Geraldine und Brian etwas außerhalb des Ortes radln. Sie hosten uns eine Nacht via Warmshowers.

Ein helles Haus im Grünen. Bella, eine dicke alte Chihuahahündin trottet etwas träge umher. Den Abend im Wohnzimmer vor dem gigantischen Faltfenster ausklingen lassen.

Früher aufstehen als sonst, Abschied nehmen um halb 9. Strahlender Sonnenschein, froh wieder im Konvoi zu radln.

Auf der A489 zurück nach Machynlleth und ab dort der National Cycle Route 82 folgen. Eine Radlbrücke führt über den Afon Dyfi, die Grenze des Nationalparks.

Den linken Hang über dem Afon Dulas entlang. Am Straßenrand Zäune aus länglichen unregelmäßigen mit Draht verbundenen Schieferplatten. Pause an einem sonnigen Bankerl am Ortsrand des kleinen Corris. Entlang der Straße urige Steinhäuser, eines hat neben dem Eingang ein geschnitztes Schweinderl mit Fahrradhelm.

Weiter leicht bergauf. Hoch oben an einem Hügel ein finsterer Schacht, der Hang darunter ein Schuttfeld aus Schieferbrocken. Aus einem finsteren Steinhaus abseits der Straße drängt mächtiger Lärm. Ein Arbeiter führt riesige Schieferblöcke über einen langen Tisch in eine Kreissäge.

Der lange Anstieg zum Waun Llefenni. Einen bewaldeten Hang entlang, links finsterer Fichtenwald, rechts riesige Lärchen. Die Bäume werden kleiner, die Straße schlängelt sich durch eine steile Moorlandschaft.

Kurz vorm Pass lange auf einer Steinmauer zwischen den hohen Moorgräsern sitzen und den Schweiß trocknen lassen. Blick zurück auf die waldbedeckten Hügel. Mit gerasteten Wadln das letzte Stück zum Pass hoch. Genialer Blick über das weite Tal des Afon Clywedog.

Runterbrettern zur A487. Am Weg immer wieder nervige Weidetore. Wie ich eins aufmache herannahendes Donnern, zwei Düsenjets jagen im Bruchteil einer Sekunde über unsere Köpfe hinweg.

Die Straße überqueren und den linken Talhang hoch. Ständig für Fotos stehen bleiben.

Rasante Abfahrt nach Dolgellau. Ein dichter Ortskern aus niedrigen Steinhäusern. Als erstes beim Co-op Proviant einkaufen, dann die Räder durch die Gassen schieben und vor einen Pub an der Mill Street setzen. Zwei kalte Madri und ein unangenehm warmes Bluestone Pale Ale für mich. In Großbritannien werden Ales bei 12 °C serviert.

Zu lange sitzen bleiben und schließlich doch aufbrechen müssen. Am Abend Regen angesagt, niemand Lust auf Camping. Ein Dreibettzimmer überraschend leistbar, auf nach Barmouth.

Einen alten Mann auf E-Bike überholen am Weg raus aus Dolgellau. Viktoriya und Hristina kommen irgendwie mit ihm ins Gespräch, übereifrig meint er uns den idiotensicheren Weg nach Barmouth führen zu müssen. Gestresst von seinem dauernden Vorfahren und Warten.

Kurz vor der Penmaeonpool Toll Bridge über den Afon Mawddach verliert er dann wohl doch die Geduld und meint wir sollen einfach dem Weg folgen. Die lange Holzbrücke nur anschauen, drüberfahren kostet 30 p je Richtung. 10 km den Ästuar des Afon Mawddach entlang. Die Schotterpiste und das seichte Wasser glänzen silbern im grellen Sonnenlicht.

An der Mündung über die holprige hölzerne Eisenbahnbrücke nach Barmouth. Die Brücke ist eines der längsten hölzernen Viadukte Großbritanniens. Nach einer aufwendigen Restauration in den 80er-Jahren rollen heute wieder Züge drüber.

Ein blaues viktorianisches Haus direkt hinter dem weiten Sandstrand. Das The Sandbanks Hotel hat seine besten Jahre hinter sich. Eine hohe grasbewachsene Düne blockiert die Sicht aufs Meer.

Die Räder in den vom Kühlschrankgebläse unerträglich stickigen Barbereich stellen und durch die mit weiß lackiertem Holz vertäfelten Hotelgänge irren. Überall flauschiger Teppichboden.

Ein Curry am Gaskocher aufwärmen und im Bett essen. Mit vollen Bäuchen Master Chef schauen und früh schlafen gehen.

Am Morgen der am Vorabend ausgebliebene Regenguss. Viktoriya und Hristina umfahren heute den Eryri entlang der Westküste, ich radle ins Herz des Gebirges nach Llanberis. Sie kürzen ihre Etappe mit einem Stück Zugfahrt nach Harlech. Vor dem Abschied gemeinsame Runde durch das vernieselte Barmouth.

Ziellos durch die Gassen schlendern. Über unregelmäßige Schieferstufen hoch in den höher gelegenen Teil des Ortes. Hinter einer blumenüberwucherter Mauer ein altes Steinhaus, ein gefliestes Schild am Gartentor, CAPRERA. Eine Frau kommt auf den Stufen entgegen und erzählt dass Giuseppe Garibaldi für einige Zeit in diesem Cottage wohnte und J. R. R. Tolkien einige Häuser darüber an The Lord of the Rings schrieb. Zweifelhaft.

Den Hang entlang zur neugotischen St John’s Church. Drinnen kein Mensch, ausführliche Infotafeln zu Geschichte und Mythen von Barmouth. Viktoriya und Hristina müssen zum Zug, der zweite Abschied.

Der Geist von Min y Môr
Die junge Blodwyn Griffiths wird nach Barmouth geschickt um ihr uneheliches Kind zur Welt zu bringen, das Ergebnis einer Affäre mit einem englischen Gentleman. Sie ist gezwungen bei einem örtlichen Metzger mit sieben Kindern als Kindermädchen zu arbeiten. Eine ihrer Aufgaben ist es die beiden jüngsten Kinder zum Min y Môr zu bringen das damals als Schule dient. Dort soll sie die Glocke im Turm läuten um die Kinder zum Unterricht zu rufen. Beim Besteigen der Treppe lässt sie ihr Baby fallen, eine Woche später erliegt es seinen Verletzungen. Blodwyn erholt sich nicht mehr von dem Trauma und kann 1889 Schuldgefühle und Kummer nicht mehr ertragen. In einer düsteren und nebligen Novembernacht sieht man wie sie zum Ufer hinuntergeht, sich bückt und ein kleines Kind aufhebt. Mit dem Kind im Arm geht sie weiter bis sie in den Fluten verschwindet. Bis zum heutigen Tag behaupten die Leute von Barmouth bei Nebel das Läuten der Schulglocke zu hören.

Draußen nieselt es wieder. Proviant kaufen beim Co-op und zurück ins Hotel zu Rad und Taschen. Losradln am frühen Nachmittag. Raus aus Barmouth entlang der restlichen Strandpromenade, dann auf der A496 15 km bis Harlech.

Kurzer Stopp beim Harlech Castle. Edward I. baut die Burg im späten 13. Jahrhundert während seines Eroberungsfeldzugs durch Wales. Gedränge am Parkplatz, die Burg ist UNESCO Weltkulturerbe.

Der einfache Weg auf der A496 weiter bis Porthmadog. Den schönen Weg wählen und von Harlech steile 150 Höhenmeter hochkeuchen. Oben weite Hochebene, am Horizont die wolkenverhangenen Gipfel des Eryri.

Nach 5 km wieder runter, die A496 überqueren und auf der ruhigeren A4085 sanft bergan Richtung Beddgelert. Es beginnt zu regnen, dichter Nebel versperrt jegliche Sicht auf die umgebende Berglandschaft. Frustriert in Beddgelert in eine Pizzeria setzen und bei einer Tasse Tee den Regen aussitzen.

Um halb 6 klart die Luft auf. Die Gipfel immer noch tief in der dichten Nebeldecke, der Wind bläst einzelne Nebelfetzen langsam über die zerklüfteten Steilhänge.

Die Straße zum höchsten Punkt, dem Pen-y-Pass schlängelt sich 15 km und 300 Höhenmeter sanft bergauf den Hang entlang. 90 % Luftfeuchtigkeit, auch ohne Regen das Hemd wie frisch aus der Waschmaschine.

Am Pass das ausgebuchte YHA. Gut 600.000 Menschen besteigen jedes Jahr den 1.085 Meter hohen Snowdon bzw. Yr Wyddfa, der höchste Berg Großbritanniens südlich der schottischen Highlands. Die meisten beginnen den Aufstieg hier am Pass.

Kein dediziertes Schild markiert den Pass. Ein Parkplatzschild muss herhalten für das obligatorische Passfoto.

Letzter Stopp vor Llanberis, das gebuchte Hostel auf der Karte suchen. Wie der Name eigentlich verrät liegt die Lodge Dinorwig nicht in Llanberis sondern in Dinorwig. Der kleine Ort liegt 150 Meter über Llanberis. Nochmal eine halbe Stunde mehr und es ist schon fast 8. A scho wurscht, Abfahrt nach Llanberis.

Mit letzter Kraft im Hostel ankommen. Ein riesiges gemütliches Wohnzimmer, die wenigen Gäste wie so oft sehr schweigsam. Nach der heißen Dusche die mitgebrachten Mac’n’cheese verschlingen und in einen der weichen Ledersessel fallen.

Llanberis

8. Juli 2024

Am nächsten Morgen noch grausligeres Wetter. Vom Hostel sieht man kaum den Kilometer runter nach Llanberis.

Es gibt köstliches pflanzliches Full English. Mit einem jungen Londoner ins Gespräch kommen. Er will bei diesem Sauwetter den Snowdon besteigen und das auch noch auf der ausgesetztesten Route. Die anderen raten erfolglos ab.

Den Vormittag im gemütlichen Wohnzimmer ausharren. Endlich das winzige Loch im Schlauch flicken das seit fünf Tagen jeden Morgen zum Aufpumpen zwingt. Die Kette abziehen und schmieren, die Messlehre zeigt nach nicht mal 500 km starke Längung an.

Zu Mittag im feinsten Nieselregen runterrollen nach Llanberis. Ein Stück weiter am Fuße des riesigen Dinorwic Quarry das National Slate Museum. Vorm Museum eine Haltstelle der Llanberis Lake Railway. Die Schmalspur-Dampfeisenbahn karrt Touris um den Llyn Padarn, den See bei Llanberis. Es riecht nach Böllern.

Der Regen legt zu, das viktorianische Museumsgebäude aus dunkelgrauem Schiefer trist im Regen. Einst befinden sich hier die Werkstätten des Steinbruchs, Schmiede, Gießerei und Tischlerei.

Um halb 3 die Slate Splitting Demonstration. Schiefer ist ein Sedimentgestein, Hauptmerkmal die ausgezeichnete Spaltbarkeit entlang der ursprünglichen Sedimentschichten. Der Arbeiter legt eine scharfe Meisel an den Schieferblock, ein paar gezielte Schläge und es löst sich eine perfekt gerade Platte. Die Platte auf einem langen Metallgrat hackt er mit einem langen schweren Messer, dem Cyllell naddu, die Platte auf die gewünschte Breite. Ein geübter Arbeiter kann auf diese Weise auch filigrane Platten mit einer Dicke von nur 5 mm fertigen.

Die Energie für die Apparate der Werkstätten liefert ein riesiges Wasserrad. Ein Gebirgsbach plätschert durch eine Rohrleitung direkt auf das Rad.

Die Welle des Wasserrades zieht sich durch die Werkstätten. In der Schmiede steht ein junger bärtiger Mann am Amboss und hämmert love spoons, winzige Löfferl mit gedrehtem Griff und kleinem Herz am Knauf.

Unablässiger Regen, warten zwecklos, zurück ins Hostel radln. Zwischenstopp beim Spar in Llanberis für ein Abendessen. Klatschnass beim Hostel ankommen, Edward der Londoner ist noch am Leben, sein Fuß verstaucht. Den Abend bei einer Runde Mikado ausklingen lassen.


Kommentare (2)

Dad, am
Kind regards to the bulgarian girls-die Meerluft bekommt dir gut-na des great britain wetter 🙃-wia olm flotte fotos und geschichten-ich fahre am smartphone weiter mit-lG auch an dich kati 🤗
Vicky, am
Was waiting to see the beautiful photo from the Pass - identical to the painting in the gallery in Conwy. All the best to your pops, very sweet!

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