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Die letzte Invasion Großbritanniens

Von St Davids nach Aberystwyth

3. bis 6. Juli 2024

Ein sonniger Morgen in St Davids, ein Funken Aufbruchstimmung. Den Westwind im Rücken mit Vollgas Richtung Fishguard. Im grellen Sonnenlicht sogar die Heckengassen schön finden.

Nach 25 km über der Bucht von Fishguard blicken.

Eigentlich will ich von hier nach Irland übersetzen, die Fahrt nach Rosslare dauert nur dreieinhalb Stunden. Der Transfer von Rosslare zur irischen Westküste schwierig, der gute Freund erst in zwei Wochen in Dublin, der Norden von Wales so schön. Also auf der großen Insel bleiben und am nördlichen Ende von Wales nach Dublin übersetzen.

Die Sonne wieder hinter den Wolken, der Wind wieder kalt. Runterrollen nach Fishguard und an der West Street in einen hellen Coffeeshop. Mit einem Cuppa an die Fensterbank setzen, tippen und Strom zuzeln.

Zwei junge Damen setzen sich neben mich mit Kaffee, Kuchen und einem Packerl Chips. Sie unterhalten sich in einer slawischen Sprache über die Inhaltsstoffe der Chipspackung. Die Ortliebs neben mir am Boden, eine der beiden fragt ob ich mit dem Rad unterwegs bin. Sie auch!

Viktoriya und Hristina stammen beide aus Bulgarien und leben schon viele Jahre in Cardiff, der Hauptstadt von Wales. Das Paar radlt nach North Wales. Die zehnminütige Unterhaltung hebt meine Stimmung für den restlichen Tag. Sie verbringen die Nacht in Fishguard, ich muss weiter nach Cardigan, ein Warmshowers-Host beherbergt mich dort.

Fishguard ist ein besonderer Ort. Am 22. Februar 1797 landen 1.400 französische Soldaten etwa 3 km außerhalb. Die Aktion ein Ablenkungsmanöver - in der Zwischenzeit sollten 15.000 Mann nach Irland segeln und dort die Rebellion der Society of United Irishmen unterstützen. Die Revolutionstruppe kehrt im schlechten Wetter um, das Ablenkungsmanöver in Fishguard findet trotzdem statt und geht in die Geschichte ein als die letzte Invasion des Vereinigten Königreichs.

Das Gepäck im Coffeeshop lassen und bis ans Ende der West Street zum Rathaus spazieren. Ein zwielichtiger Mann will mir ein Comic-Hefterl zu englischen Minenarbeitern verkaufen wie er erfährt dass ich im Big Pit war. Neben dem Eingang zum Rathaus klebt ein ausgedruckter Zettel, POLLING STATION in dicken Lettern. Es ist Sonntag, heute wählen die Britinnen und Briten ein neues Parlament.

Im Obergeschoss die öffentliche Bücherei. In einer kleinen Galerie daneben bebildert eine 30 Meter lange Tapisserie Geschichte und Mythos der letzten Invasion Großbritanniens. 1997 zum 200-jährigen Jubiläum der Invasion weben 80 lokal ansässige Frauen vier Jahre lang an dem wunderschönen Wandteppich.

Die Invasoren erblicken aus der Ferne walisische Frauen in rot schwarzer Tracht und halten sie für britische Soldaten in Red Coat und Shako. Am Ende ein Grund für deren bedingungslose Kapitulation.

Es ist schon längst Nachmittag, aufbrechen nach Cardigan. Der Route 82 des National Cycle Network folgen, 5 km auf der B4313 dann abbiegen und runter ins Tal des Afon Gwaun. Afon ist das walisische Wort für ‘Fluss’. Heckengassen, Landwirtschaft und tiefgrüne Eichenwälder.

Nach 15 km Pause im kleinen Nevern bzw. Nanhyfer. Eingesäumt von alten Steinmauern und versteckt hinter riesigen knorrigen Eiben die etwas schaurige St Brynach Church. Zwischen den schiefen Grabsteinen ein verwittertes keltisches Kreuz aus dem 11. Jahrhundert.

Die letzten 20 km nach Cardigan bzw. Aberteifi. Walisische Ortsnamen sind oft deskriptiv, aber bedeutet ‘Mündung’, der Teifi der Fluss durch den Ort. David und sein Partner Simon leben in einem gemütlichen kleinen Haus auf einem steilen Hügel oberhalb des Ortes. Wie ich ankomme fallen die ersten Tropfen.

Heiß duschen, gemeinsames Abendessen und viel Zeit für intensiven Erfahrungs- und Meinungsaustausch. Auch David schwört auf die Casio F-91W, er schenkt mir eine alte kaputte damit ich mein rissiges Armband tauschen kann. Um zehn die ersten Exit Polls im BBC. Landslide für Labour, Erleichterung.

Am Vormittag Abschied von David, an der sonnigen Terrasse. Steil runter nach Cardigan, vorbei an der alten Brücke und der Burg aus dem 12. Jahrhundert.

Weiter auf niederrangigen Straßen immer dem Afon Teifi entlang. Nach 20 km die erste Pause in Cenarth am Flussufer. Der Teifi verengt sich hier und gräbt ein tiefes Becken in den Fels. An der Böschung ein altes Mühlhaus. Der Parkplatz füllt sich schnell mit Autos von Ausflügler:innen.

Unspektakuläre und oft zu steile 40 km nach Lampeter. Wie Kraft und Geduld nachlässt immer öfter die Radroute verlassen und den flacheren A- und B-Roads folgen. Kurz vorm Ort direkt neben der A475 eine nasse Wiese, der einzige Campingplatz in Lampeter. In zwei grob gezimmerten Baracken Klo und Dusche. Trotz Anruf kommt niemand vorbei zum Abkassieren. In den Ort radln.

In Oscar’s Den, dem Kebab-Burger-Pizza-Laden von Lampeter eine 12” Margherita verschlingen und am Laptop arbeiten. Reges Kommen und Gehen, der türkische Inhaber scheint alle im Ort zu kennen. Der ältere Mann hinterm Tresen, wahrscheinlich sein Vater, spricht wenig. Deutschland scheidet gegen Spanien aus.

Kurz vor Geschäftsschluss in den riesigen leeren Sainsbury’s für ein Frühstück und Proviant.

Am Campingplatz tiefste Dämmerung. Wie ich ins Zelt schlüpfen will rollt ein schwarz glänzender Range Rover SUV vor und lässt das Fenster runter. 18.50 £ bitte.

Home Sweet Home

Die wenigen anderen Gäste sitzen wie schon vor 4 Stunden versammelt um ihre Wohnmobile und grölen bis in die frühen Morgenstunden.

Der Regen kommt über Nacht. Bis 10 im Zelt ausharren dann die ersten Sonnenstrahlen. Ins Freie kriechen und die Regentropfen von der Zelthaut wischen. Im Sonnenschein erwärmt sich das Zelt wie ein Glashaus und trocknet schnell.

Lautes Prasseln am Dach der Toilettenbaracke. Der Schauer bald vorüber aber die Zelthaut wieder nass, nochmal abwischen. Zurück ins Bad zum Zähneputzen, der nächste Schauer. Gefrustet alles klatschnass einpacken.

Der Hinterreifen weich. Zum Flicken keine Nerven übrig, Luft reinpumpen und hoffen, dass sie drinnen bleibt. Losradln nach Lampeter, auf der Brücke über den Teifi und abzweigen auf die schmale B4343.

Der nächste Schauer, kein Unterstand in Sicht. Am Weg alle hundert Meter Protestschilder gegen Stromleitungen und Windräder.

'Don't break the heart of Wales' i.e. 'Not in my backyard'

15 km durchdrücken bis ins kleine Llanddewi Brefi. Der Regen lässt nach. Auf eine fehl am Platz wirkende Parkbank vor die frei stehenden Wohnhäuser setzen und die durchnässten Socken ausziehen. Im Wind fröstelnd ein Supermarkt-Sandwich runterschlingen. Ein kurzer Moment Sonnenschein.

Weiter ins nahe Tregaron. Zu früh für eine richtige Pause und die Füße sind auch noch nass. 5 km weiter von der B4343 abzweigen auf einen Radweg durch den Cors Caron, eine kleine Moorlandschaft um den Teifi. Der Zugang zum Radweg über ein Weidetor.

Bloody farmers

Die Sonne setzt sich langsam durch und taucht die Hügel in Licht und Schatten. Der Wind jagt die Wolken westwärts, die Landschaft mit jedem Blick eine andere.

Eine Weile dem gatschigen Radweg folgen, bei der Kreuzung mit der B4340 auf diese wechseln. 10 km im Gegenwind über die hügelige Landstraße. Pause auf der Brücke über den Afon Ystwyth. Einen Moment die Sonne ins Gesicht scheinen lassen.

Auf flachen Schotter- und steilen gatschigen Waldwegen die letzten 15 km nach Aberystwyth (‘Mündung des Ystwyth’). Den Pendinas Hügel südlich umradln und über die Trefechan Bridge durch den Ort zum weiten Kiesstrand. Auf der Promenade im stürmischen Wind sitzen und die Sonne auf die Glieder scheinen lassen.

Der nächste günstige Campingplatz liegt zu weit außerhalb. In ein kleines Zimmer in einem Terraced House direkt hinter der Trefechan Bridge übersiedeln. Die nasse Ausrüstung auf den wenigen Quadratmetern ausbreiten.

Durch die leeren Gänge des absurd großen Tesco Superstore schlendern und ein Fertiggericht kaufen. Dazu ein Fünferpack Jam Doughnuts (sprich Krapfen), 1.300 kcal um 1.25 £. Mit dem Tesco-Beutel zum Pier rausspazieren. Der Wind hat noch zugelegt, Wellen krachen mit großer Wucht gegen die Hafenmauer, meterhohe Gischt.


Kommentare (3)

Markus, am
Als Vinschgr bisch in Wind jo gweint 😉 wos isch des eigentlich fir a zelt 🤔 lustig dei bettwesch mit huntelen 😄 irlond und nochr 🤔 gute weiterreise🚲☀️🍀🚲
Eli, am
😂 stimmp! Zelt: https://durstongear.com/products/x-mid-2-tent-ultralight-backpacking
Sibille, am
Wunderbares Kopfkino, deine Erlebnisse, Erfahrungen, Begegnungen aus der Ferne zu verfolgen ist so schön, steckt wohl aufwendige Recherche hinter den detaillierten und aufschlussreichen Infos, bravo!!❤️

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