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Die Kreuzfahrt

Plymouth ist die größte Stadt der englischen Grafschaft Devon. Der Name der Stadt wird nicht so ausgesprochen wie wir dachten. ‘Pleimauf’, peinlich.

Von Santander nach Plymouth

Sonnenschein am letzten Tag in Santander, das schönste Abschiedsgeschenk. Zum Hafen spazieren und in der Fußgängerzone beim Centro Botín an den Kai setzen. Die Sonne auf die nackten Füße scheinen lassen und mittagessen. Im Park dahinter einen frech überteuerten Kaffee trinken.

Wenige Meter weiter die Station #2 der Ruta del Incendio. Die 10 über die Altstadt verstreuten Stationen erzählen Hergang und Folgen der Brandkatastrophe in Santander im Jahr 1941.

Am 15. Februar 1941 bläst außergewöhnlich starker Südwind mit Böen von über 180 km/h durch die engen Gassen von Santander. In den frühen Morgenstunden kommt es in einem Hotel in der Calle Cádiz zu einem Kurzschluss, ein Brand bricht aus. Im starken Wind springen die Flammen schnell auf die nahe Kathedrale über und fressen sich durch die engen Gassen der Altstadt. Das Feuer wütet für zwei volle Tage und zerstört den Großteil der Altstadt, insgesamt 377 Gebäude. Nur eine einzige Person kommt ums Leben, ein Feuerwehrmann aus Madrid.

Die zerstörten Gebäude sind überwiegend alte Wohnhäuser der arbeitenden Klasse. Mehr als 10.000 Menschen verlieren ihr Zuhause, der Großteil wird in Wohnblocks außerhalb des Zentrums umgesiedelt. Im zerstörten Stadtzentrum baut man hauptsächlich für das wohlhabende Bürgertum. Ein rasterförmiges Straßennetz ersetzt die engen verwinkelten Gassen.

Die Plaza de Pedro Velarde, Paradebeispiel für den Architekturstil des Wiederaufbaus in Santander

Proviant einkaufen für die anstehende Überfahrt. Abschied nehmen auf der Plaza de Velarde bei einem Glas Weißwein und Oliven.

Um 5 Räder und Taschen über die maroden Holzstiegen unserer Unterkunft in die Calle San Sebastián runtertragen. Über Umwege steil runter zum Hafen. Die Dame am Schalter der Brittany Ferries schickt uns zum Terminal für Kfz. Gestresst hinradln, einchecken und dann doch noch eine geschlagene Stunde aufs Boarding warten.

Fünf andere Radtourist:innen warten ebenfalls. Neben uns eine riesige Horde Motorradfahrer:innen. Wie das Boarding beginnt heulen die Motoren auf. 20 Minuten Abgasduft bis wir endlich die Garage Richtung Deck verlassen.

Nicht vergessen!

Die Fußpassagiere sind schon eine halbe Stunde an Bord, trotzdem noch reichlich Platz in der Lounge. Die Pont-Aven ist das Flaggschiff der Brittany-Ferries, 2.400 Passagiere und 650 Kfz passen auf das 41.700 Tonnen schwere Schiff. In die bequemen Ledersessel setzen und zuschauen wie die Bucht von Santander langsam vorbeizieht.

Auf der Bühne im unteren Stock der Lounge nonstop Programm: Livemusik, Quiz, Magic-Show. Eine Runde beim Bingo mitspielen und kein Glück haben. Die Passagiere fast ausschließlich betagte Engländer:innen, das Personal überwiegend französisch. Von Spanien keine Spur mehr. Im Shop zwei Adapter für die englischen Steckdosen kaufen.

In der Lounge um Mitternacht noch reger Betrieb. Zu müde um noch länger zu warten, den Platz aufgeben und einen Ort zum Schlafen suchen. Anders als auf der Überfahrt nach Barcelona übernachtet hier niemand auf den Gängen. In einem ruhigen Eckerl auf den weichen Teppichboden legen und mit der Schlafmaske das grelle Licht abdrehen.

Die Crew duldet unser Nächtigen auf Deck, am Morgen liegt ein Apfel neben dem Schlafsack. Zum Wachwerden nach draußen gehen und auf das schäumende Kielwasser schauen. Strahlender Sonnenschein in der Iroise, die Pont-Aven umschifft gerade die Halbinsel der Bretagne.

Ältere Passagiere wuseln schon durch die Gänge und warten sehnlichst auf die Eröffnung des Frühstücks. Mitgebrachtes Knickererfrühstück vorm Panoramafenster, dazu grausliger Kaffee vom Self-Service Restaurant.

In der Lounge spielt die Sängerin vom Vorabend schon wieder ein Acoustic Set, eine Handvoll Senior:innen lauscht andächtig. Nebenan öffnen drei Damen der Crew gerade den Pool. Die Sonne scheint durch die Glasüberdachung ins warme Wasser. Eine Weile nur die Füße reinbaumeln lassen, dann doch Lust bekommen.

Die Unterwäsche in der Sonne trocknen und die restliche Fahrt im Poolbereich sitzen und schreiben. Um halb vier die grasigen Hügel des Plymouth Bay.

Verzögerungen beim Gang von Bord. Eine halbe Stunde in der abgasgeschwängerten Luft der Garage bei den Rädern warten. Am Checkpoint für die Passkontrolle wieder neben der Horde Motorräder warten.

Unsicher im Linksverkehr durch die Innenstadt nach Mutley. Die Straßen saueng und die Autofahrer:innen waghalsiger als in Spanien. Endlose Straßenzüge mit kleinen nahtlos aneinanderstehenden Reihenhäusern im viktorianischen Stil.

Im 19. Jahrhundert baut man diese Terraced Houses im großen Stil als Behausung für die wachsende Arbeiterschicht. Damals primitiv mit Outhouse, einer externen Sanitäranlage die von mehreren Häusern genutzt wird.
Heute charmant aber durch die ineffiziente Flächennutzung städteplanerisch der Supergau. Die junge Frau die unser Zimmer vermietet wohnt allein. Im ganzen Haus flauschiger Teppichboden.

Die Mutley Plain erinnert an die Ottakringer Straße. Durchzugsverkehr, Herrenfriseure und Fast-Food. Vorm Pizza Hut spricht uns ein junger Mann mit starkem Akzent auf Deutsch an. Er hat einige Zeit in der Schweiz gelebt. Plymouth sei hässlich meint er, im Krieg zerbombt, wie Berlin.

Über die Straße zum Co-op, viele Fertiggerichte aber sonst wenig Auswahl. Der ALDI an der Greenbank Road besser und bummvoll, noch mehr Fertigprodukte und absurd billig. Eine Dose Spaghetti Loops um 19 Pence und ein richtiges Abendessen kaufen.

Schmeckt wie 19 Pence

Plymouth

Am nächsten Tag mit dem Bus zur Kreuzung von Royal Parade und Armada Way. Nachkriegsarchitektur dominiert den weiten Platz. 1941 bombardiert die Luftwaffe Plymouth in 59 Luftangriffen. 3.700 Gebäude werden komplett zerstört.

Hinter der nach dem Krieg wiederaufgebauten Minster Church zum ältesten Gebäude in Plymouth. Das Prysten House, erbaut 1498 mit Granit aus dem nahen Dartmoor. Irgendwie überlebt es den Plymouth Blitz während alles drumherum abbrennt.

Weiter Richtung Hafen ins Barbican-Viertel. Der Stadtteil bleibt auch vom Blitz verschont. Auf den engen gepflasterten Gassen viele kleine Geschäfte und Restaurants. Am Hafen die Mayflower Steps, ein Portico markiert den Punkt an dem die Pilgerväter 1620 nach Amerika aufbrechen. Das Monument symbolisch, am eigentlichen Punkt 20 Meter weiter hinten befinden sich heute die Damentoiletten des Admiral McBridge Pubs.

Ein Stück die Southside Street zurück zum Barbican Pasty Co. Cornish Pasty sind im Ofen gebackene Mürbteigtaschen mit verschiedensten Füllungen. Am dicken kunstvoll gefalteten Rand halten und reinbeißen. Der dicke Mops der Ladenbesitzerin schaut traurig zu.

Kaffee und Cornish Pudding in der Cornish Bakery direkt am Kai. Ein Kaffee kostet fast drei Mal so viel wie in Spanien.

Die Küste entlangspazieren bis zu einem kleinen Aussichtspunkt mit zwei Kanonen direkt unter der Royal Citadel. Die Pont-Aven läuft gerade aus dem Plymouth Bay und ist wieder am Weg nach Santander.

Zurück zu den Mayflower Steps und ins kleine Museum dahinter. In drei Ausstellungsräumen Beweggründe, Verlauf und Folgen des Abenteuers der Pilgerväter. Auflockern bei der Wühlkiste mit zeitgenössischer Kleidung und einer Conquistador Rüstung.

Einen leistbaren veganen Cheeseburger und einen Pappbecher Tee mit Milch bei dem in Plymouth legendären Standl Cap’n Jaspers. Dann zurück zur Royal Parade und von dort zum Plymouth Hoe. Auf der Liegewiese weiter Blick über das Bay und Drake’s Island. Zwei graue Kriegsschiffe der Royal Navy durchqueren die Bucht.

Am Heimweg vorbei an Smeaton’s Tower. 100 Jahre auf den Eddystone Rocks in Cornwall im Einsatz. 1884 degradiert zum Deko-Leuchturm in Plymouth.

Für morgen den ganzen Tag Regen angesagt. Den Aufenthalt in Plymouth um einen Tag verlängern. Unser Zimmer ist nicht mehr frei, also am Vormittag in ein anderes Airbnb im Stadtteil Peverell.

Am Weg hin fallen die ersten dicken Tropfen. Wieder ein Terraced House, bewohnt von einer Frau, ihrer Tochter, einem schwarzem Labrador und einer Katze. Das kleine Zimmer mit Dachfenster neben der großen gemütlichen Wohnküche. Sarah ist sehr sympathisch. Eine Weile einleben, dann mit dem Bus in die Stadt. Draußen strömender Regen.

Aussteigen am Tavistock Place vor der Box. Naturhistorisches Museum und Kunstgalerie bei freiem Eintritt. Interaktive und kurzweilige Ausstellungen.

In der kleinen Bibliothek ein vergilbtes Buch aus dem Regal ziehen. A book of Dartmoor von S. Baring-Gould aus dem Jahr 1900. Hängenbleiben bei Bogs, Tors und Dartmoor Ponies.

Grade trocken wieder ins stürmische Regenwetter. Zu Fuß nach Barbican zur Plymouth Gin Distillery. Die älteste noch aktive distillery Englands produziert seit 1793. Das geschützte Gebäude ein ehemaliges Dominikanerkloster aus dem frühen 15. Jahrhundert.

Im Destillationsraum reihen sich in gelbem Schaumstoff verpackte Gerüstträger. Die riesige kupferne Brennblase in der der Gin destilliert ist kaum auszumachen. Ein Schaden im altertümlichen Holzgewölbe muss repariert werden.

Die Tour führt nur kurz durch den Destillationsraum. Im Hinterzimmer Crashkurs zu den in der Ginproduktion verwendeten Gewürzen, den botanicals. Obligatorisch die Wacholderbeeren, ohne sie kein Gin. Im Plymouth Gin daneben noch Engelwurz für das trockene Gefühl auf der Zunge, Kardamom für das wärmende Gefühl im Brustkorb, Iriswurzel als Bindemittel für die ätherischen Öle der anderen botanicals, Koriander, Zitrone und Orange für den Geschmack. Eine minimalistische old school Rezeptur, der Trend geht in Richtung 10 botanicals und mehr.

Mit Wasser verdünnten Gin kosten, das Wasser mindert das Brennen des Alkohols auf der Zunge und erleichtert das Bestimmen der botanicals. Am besten schmeckt der Tester von Plymouth Sloe Gin, ein Likör aus Gin und Schlehen. Auch daheim in der Bergsteiggasse wachsen seit letzten Sommer zwei Schlehenstauden.

Im Obergeschoss das ehemalige Refektorium des Klosters, heute eine schicke Cocktailbar. Am dunklen Holzgewölbe sichtbare Schäden vom Plymouth Blitz. Die Tour inkludiert einen Drink, lange bei einem Gin Tonic in den gemütlichen Ledersesseln sitzen.

Mit dem Bus zurück nach Peverell. Der ALDI außer Reichweite, beim lokalen Co-op schwache Auswahl, ein Glas Tikka masala mit Kichererbsen.

Am Abend Zeitreise ins Devon des 18. Jahrhunderts. Die Verfilmung des Jane Austen Romans Sense and Sensiblity anschauen.

Morgen ins Dartmoor radln.


Kommentare (5)

Toller Blogeintrag! Ich wünsch uns besseres Wetter beim weiterfahren 🤞🏻☀️
Wie so oft wirds erst schlechter vors besser wird :')
Alles drin, geballte Infos zur Geschichte, Geografie, Kunst, Speisen u Getränke, Bewohner, Versorgung,... zudem nette persönliche Eindrücke, würde sagen druckreifer Reiseführer, bravo!!! Trockenes Weiterradel wünsch ich ❤️
Genau das wollte ich alles auch sagen und wünschen 😉 Ist das Meer in england beschwimmbar oder ❄️ 17*?
Danke ❤️ Woas nit, schwimmen hot bisher nit gegluschtet haha

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