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Akklimatisation

3.000 km geradlt und knapp drei Monate unterwegs. Macht am Tag nur etwa 35 km. Zähes Vorwärtskommen und gleichzeitig das Gefühl nur einen winzigen Ausschnitt der durchquerten Gegenden wahrzunehmen.
Den Sweet Spot der Reisegeschwindigkeit gefunden?

Von den Picos nach Santander

Die Sonne scheint aufs Zelt und treibt aus den Schlafsäcken. Tag der Abreise, das Basecamp unter den Picos abbauen.

Der schwäbische Biker nebenan wünscht alles Gute. Warum wir so viel Zeit haben wolle er noch wissen. Er sei in Pension und habe sie ja.

Gemütlich losradln um 11. Bergab auf der N-621 immer dem Río Deva entlang. Die Picos geraten bald außer Sicht. Durch einige verschlafene Orte, in Potes dann bummvolle Parkplätze und Touristenmassen.

Einkaufen beim Lupa und auf einem Bankerl Mittagessen. Ein Paar nähert sich, einen kurzen Wortwechsel aufschnappen, Südtiroler. Im Vorbeigehen wünschen sie ein holziges ¡Buen provecho!, ¡Gracias!.

Potes ein netter Ort, Fachwerkhäuser reihen sich malerisch einen plätschernden Bach entlang. Panorama auf die Picos.

Den Großteil der Höhenmeter schon verbraucht. Sanfter bergab und gegen kräftigen Wind durch eine enge Karstschlucht. Die zerklüfteten Steilwände wirken hochalpin, die Gipfel deutlich unter 1.000 Meter.

Viele Straßenbaustellen unterbrechen die sich den Hang entlangschlängelnde N-621. Lange ampelgeregelte Straßenabschnitte, Stress von den folgenden wie entgegenkommenden Kfz, die Ampeln nicht auf Radfahrende getaktet. Entspannter durchradln wenn Bauarbeiter mit Funkgeräten Ampel spielen.

In La Hermida Kaffeepause. Vor dem Gasthaus inmitten steiler Karstwände reihen sich die Motorräder. Wenige Kilometer weiter die Grenze zur Region Asturias, eine Weile der Grenze und dem Río Deva entlangschlängeln. Langsam gehen die kargen Felsen in eine grasige Hügellandschaft über. Bei Unquera ist der Río Deva schon ein mächtiger Strom, kurz vor der Mündung ins Meer. Wieder an der Grenze zu Asturias. Jause am Flussufer und endgültig Richtung Westen und in die Region Cantabria abbiegen.

Kühle Meeresluft vom Golf von Biskaya, in dem weiten Weideland grasen fuchsbraune Rinderherden. Über eine Brücke ins schöne San Vicente de la Barquera. Eine mächtige gotische Kirche überthront den altertümlichen Ortskern. Die Abendsonne leuchtet durch kleine Risse in der Wolkendecke und hüllt die umliegenden Hügel in mystisches Licht. Den Ort verlassen über die 28 Bögen der Puente de la Maza, eine flache Steinbrücke aus dem 16. Jahrhundert.

Die Straße hoch durch dichten Eukalyptuswald. Oben Blick auf die Playa de Merón und die dahinterliegenden Klippen.

Weiter auf der Landstraße zur kleinen Siedlung Gerra. Die schlichte Pensión Oyambre liegt an einem grasigen Hang überm Meer. Das Haus voller Fliegen, unzählige Kühe grasen auf den Weiden der Umgebung. Auf der Schaukel vorm Haus sitzen und aufs Meer schauen. Am Himmel kreisen Falken auf Beutesuche, eine rot getigerte Katze schleicht ums Haus.

Den nächsten Vormittag der Planung des weiteren Reiseverlaufs widmen. Aus dem bleigrauen Himmel geht im Halbstundentakt Nieselregen.

Mit dem Rad eine halbe Stunde über die Landstraße nach Comillas. Eine Brücke führt über den Arroyo del Capitán. Es herrscht Ebbe, aus dem trockengelegten gatschigen Grund der Lagune ragen unzählige Baumstümpfe.

In Comillas zu einer von Antoni Gaudí entworfenen Villa. Vier massive Säulen markieren den Eingang zu El Capricho (‘Die Laune’) und stützen einen minarettartigen gefliesten Turm. Der helle Stein der Säulen im Kontrast zu den roten Ziegelsteinen und grünen Fliesen.

Ein großzügiger Wintergartenanbau an der Südseite sammelt Licht und Wärme und verstrahlt diese durch die gesamte Villa. Die Symbolik der Musik und Botanik zieht sich durch Fassade und Innenräume. Die fünf mit Sonnenblumen verzierten Fliesenreihen an der Fassade repräsentieren fünf Notenlinien. Die kleineren Fenster hängen wie Noten zwischen den Linien.

Auftraggeber war der Indiano Máximo Díaz de Quijano.
Im Spanien des 18. und 19. Jahrhunderts wirtschaftliche Rezession und politische Unruhen. Auf der Suche nach besseren Verhältnissen wandern viele in die lateinamerikanischen Kolonien aus. Manche kommen zu großem Reichtum und kehren zurück in ihre Heimat. Hier nennt man sie Indianos.
Máximo Díaz de Quijano stirbt im Juli 1885, wenige Monate nach Fertigstellung seiner Villa.

Ins Zentrum von Comillas. An der Plaza de Corro Campíos beim Lupa einkaufen und vorm Kaffeeregal stehen. Das Pakerl ausgezeichneten portugiesischen Delta Kaffees ist aufgebraucht.

Auf den Etiketten der spanischen Kaffeemarken liest man oft Mezcla (‘Mischung’) 50/50 oder 80/20. Gemeint ist nicht das Arabica-Robusta Verhältnis sondern der Anteil an café torrefacto: In Spanien ist es üblich bei der Röstung Zucker zuzugeben. Der Zucker karamellisiert und glasiert die Kaffeebohnen. Die glasierten Bohnen sind länger haltbar, der Kaffee schmeckt anders. Hersteller sagen besser, Specialty-Coffee-Snobs sagen grauslig. Einen normalen Kaffee kaufen.

Zu hungrig um direkt heimzuradln. Zur nahen Churrería Chocolatería Comillana an der Plaza. Das Lokal leer, Kaffee und eine Portion Churros. Mittelmäßiges Essen und freche Preise, die wütenden Google Maps Bewertungen nächstes Mal vorher lesen. Wie wir gehen strömt eine französische Schulkasse in das Lokal.

Des kühlen Klimas wegen befinden sich an Wohnhäusern in Nordspanien sehr oft sog. Galerías, rundum verglaste Balkone

Kleiner Umweg über den Parque Güell y Martos. Blick über die Playa de Comillas die im feuchten Nebel eher trist wirkt. Heimradln im Nieselregen.

Am nächsten Tag eine kurze Etappe nach Santillana del Mar. Vor der Abreise Spaziergang vorbei an den Rinderherden runter zu den felsigen Klippen. Wie immer bedeckter Himmel und Nieselregen. Drei ältere Pilger wandern den erdigen Pfad der zerklüftete Küste entlang, hier verläuft der Camino del Norte.

Froh das feuchtelnde Zimmer zu verlassen, kein Handtuch, keine Socke trocknet jemals in diesem Wetter. Hügelige anderthalb Stunden nach Santillana, froh doch die Radhose angezogen zu haben. Am Lupa kurz vorm Ort einkaufen und auf der Parkplatzmauer mittagessen. Wieder Regen.

Auf einem Hügel hinter Santillana, im kleinen Vispieres die nächste Pension. Durch das Garten- und Haustor und im Wohnzimmer einer verdatterten altersschwachen Dame stehen. Ein Bub am Gang holt seine Mutter, die Pflegerin die uns zur nächsten Tür schickt. Niemand dort, ein Mann am Telefon leitet durch die Schubladen der Rezeption zum Zimmerschlüssel.

Mit dem Rad eine Viertelstunde zur Cueva de Altamira. 1870 entdeckt der Hobbyarchäologe Marcelino Sanz de Sautuola die etwa 1.000 Meter lange Karsthöhle. Die Decke übersät mit kunstvollen Darstellungen von Bisons, Pferden und Hirschen. Archäologische Ausgrabungen am Höhlenboden belegen, dass hier vor etwa 18.500 Jahren Menschen wohnen. 5.000 Jahre später versiegelt ein Felssturz den Höhleneingang.

1974 besuchen 174.000 Menschen die Höhle von Altamira. Der Atem der Besucher:innen verändert das Mikroklima der Höhle und beschädigt die Malereien. Ab 1977 ist Altamira für die Öffentlichkeit gesperrt. 2001 der Bau des Museo Nacional y Centro de Investigación de Altamira. In der Neocave des Museums, einem exakten Nachbau der Höhle, die Höhlenmalereien in Ruhe bewundern.

In ausführlichen Videos faszinierende Einblicke in den menschlichen Alltag vor langer langer Zeit.

Wie man einen Feuerstein zurechthaut

Am nächsten Morgen bleigrauer Himmel und Nieselregen. An Kathis Rad zuzln acht große Schnecken. Der Regen über Nacht zaubert Flugrost an die Kette, ein paar Tropfen Öl vorm Losradln.

Die letzten 40 km nach Santander durchgängig ereignislos und schiach. Immer der N-611 folgen. Schöne Landschaften liegen, falls vorhanden, hinter den dichten Nebelwänden.

Ein langes Stück durch die Peripherie von Santander. Nach drei Monaten Spanien endlich zum Telepizza. Perfekter Teig aber Pizza mit BBQ-Soße muss nicht sein.

Santander ist abseits von Hafen und Altstadt sehr steil und ranzig. Straßenzüge heruntergekommener Plattenbauten, die Gehsteige voller Hundegaggis. In der Calle San Sebastián unser Airbnb in einem Plattenbau. Eine junge Familie vermietet eine kleine Zelle in ihrer sanierungsbedürftigen Wohnung.

Immerhin hats ein Fenster

Ein abendlicher Stadtrundgang, auf der verkehrsgeplagten Plaza de Ayuntamiento treibt der Hunger zum Burger King. Zwischen Scharen von Teenagern, vegane Nuggets einatmen, Samstagabend.

Ein Stück der Calle Calvo Sotelo folgen zur Plaza Asunción, hier steht die Kathedrale von Santander. Schwere Tropfen fallen vom Himmel, ins Café La Catedral flüchten. Kaffeehausflair auf engstem Raum, abgegriffenes Messing und klarlackierte Holzflächen. Reger Betrieb mit älterem Publikum. Vermú rojo mit viel Eis, ein Kellner verteilt dekadente Tapas von einem riesigen Tablett.

Heiter heimgehen, die Kathedrale ist schon längst zu. Einkaufen beim winzigen Coviran ums Eck. In der ranzigen Küche Käsetoasts für jetzt und Spaghetti für die Weiterreise kochen.

Eine vollgesogene weiße Tennissocke ist als Strahlregler über den Wasserhahn gestülpt. Der kaputte Ofen als Kabinett für Töpfe und Pfannen. Am Herd ein Topf mit verwesenden Essensresten. Die ausgesprochen herzliche und unkomplizierte Art der jungen Eltern machts wett.

Der pinke Minikühlschrank heizt das winzige Zimmer. Bei offenem Fenster auf das winzige Bett legen und um Platz schubsen.

Bilbao

Santander ist die Hauptstadt der Region Cantabria. Im Osten grenzt diese an das Baskenland. Wenige Kilometer hinter der Grenze liegt Bilbao, die größte Stadt des Baskenlandes. In der Landessprache, dem Baskischen heißt die Region Euskadi. Das Baskische ist die einzige isolierte Sprache Europas, sie ist mit keiner anderen Sprache dieser Welt verwandt.

Am späten Vormittag im Nieselregen zum Busbahnhof von Santander und anderthalb Stunden nach Bilbao. Euskadi ist eine der wohlhabendsten Regionen Spaniens. Die Wörter auf den zweisprachigen Straßenschilder vor Bilbao komplett unverständlich.

Aus dem modernen Busbahnhof auf den weiten Vorplatz. Die ersten Sonnenstrahlen seit vier Tagen verschwinden bald hinter den Wolken. Mit der Bim den Nerbioi-Fluss entlang zum Guggenheimmuseum. Das berühmte Gebäude von Frank Gehry mit dem fließenden Metallgebilde auf einem Sockel aus kalksteinverkleidetem Beton nur von außen bestaunen. An der Fassade sind 33.000 hauchdünne Titanplatten verbaut. Die 0.4 mm dünnen Platten wiegen insgesamt nur rund 60 Tonnen.

Durch die rasterartigen Straßen des Abando-Viertels zum Azkuna Zentroa. Das monumentale Gebäude mit Jugendstilfassade wird 1909 als Weinlager angelegt. 2010 der Umbau in ein Kultur- und Freizeitzentrum, die Fassade bleibt erhalten. Im Erdgeschoss eine schummrige Halle mit 43 enormen Säulen, jede im Stil einer anderen vergangenen Epoche. In einem hohen Gang eine Decke mit dicken Glasfenstern, darüber das Becken des öffentlichen Schwimmbads. Am Sonntag tote Hose.

In einem Coffeeshop ums Eck den Regen Ausharren und eine Weile Tippen. Weiterspazieren zum Bahnhof von Abando und die Rolltreppen hoch zu den Stumpfgleisen. Umdrehen und auf das riesige Buntglasfenster schauen.

Eine Straße weiter der kleine Bahnhof La Concordia. Ein hässlicher Plattenbau überragt die prächtige Jugendstilfassade. Darunter der ranzige kanalartig eingefasste Nerbioi.

Über die Areatzako-Brücke in die Altstadt. Bilbao ist eine schöne moderne Stadt, die Kathedrale und alten Gebäude ziehen wenig an.

Mit der Metro weit nach draußen ins Viertel Areeta. Kurz vor der Mündung des Nerbioi lässt ein Brückenträger eine Gondel über den Fluss schweben. Die 1893 erbaute Bizkaiko Zubia ist die älteste Schwebefähre der Welt. Vorteile der Konstruktion sind die freie Durchfahrt von Schiffen und die ebenerdige Auffahrt in die Gondel.

Die Überfahrt dauert wenige Minuten und kostet als Fußgänger:in 55 Cent. Abfahrt alle 8 Minuten, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Jeden Tag nutzen sie gut 16.000 Personen.

Am andern Ufer mit der Renfe vom Bahnhof Portugalete zurück zum Busbahnhof. Für eine Schüssel Kimchi-Ramen zum Buga Ramen hetzen und um halb 10 wieder im Bus sitzen. Wie die Sonne über dem Golf von Biskaya untergeht einen grusligen Thriller am Kopfstützenmonitor schauen.

Baba Spanien.


Kommentare (1)

Nich nur frische moder moos und feuchte in old england sondern auch wärme herzlichkeit safetikeit und passables happahappa 🤗

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