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Panem et circenses

Die vergangene Woche eine knappe Stunde geradlt. Von Lisboa nach Porto und weiter nach Braga, insgesamt gute 500 km Zugfahren. Dem Meer entlang von Lisboa nach Porto wohl wenig spannend, der Umweg über die Serra da Estrela zu zeitaufwendig. Hinter Braga bald die Grenze zu Galicia, die Sehnsucht nach den einsameren Landschaften Spaniens.

Vorher eine Woche Stadtleben.

Lisboa

Erstes Ziel ist der Ponte 25 de Abril über den am Vortag unser Zug rollte. Die Hängebrücke über den Tejo ist 3.2 km lang und erinnert ihrer Farbe wegen stark an die Golden Gate Bridge in San Francisco. Am Tag rollen etwa 150.000 Fahrzeuge und 160 Züge über die sechs Spuren und zwei Gleise. Für zu Fuß Gehende oder Radelnde kein Platz.

Am rechten Ufer der Christo Rei, eine 28 Meter hohe Christusstatue

Reges Treiben am Passeio Carlos do Carmo, der Promenade entlang des Tejo. Dekadent mit dem E-Scooter zur Torre de Belém, dem Wahrzeichen von Lisboa. Mehr Schieben als Zischen, die Menschenmassen zu dicht.

Am Weg zur Torre de Belém der Padrão dos Descobrimentos, das 'Denkmal der Entdeckungen'

Die portugiesischen Entdecker des 16. Jahrhunderts stechen an der Torre de Belém in See und jene die zurückkehren legen hier an. 1521 erbaut aus Lioz Kalkstein im Manuelinischen Stil. Der Turm überlebt das verheerende Erdbeben von 1755. Am Ticketschalter ein Zettel Estimated waiting time 2 hours. Unter einem großen Oleanderbusch ins Gras legen und den Trubel beobachten. Ein Violinist interpretiert schmalzige Popsongs und erntet großen Applaus.

Lioz Kalkstein stammt aus dem Umland von Lisboa, verwendet für Monumentalbauten in Portugal und Brasilien

Weiter zum Jerónimos Kloster, wieder Lioz Kalkstein, wieder Manuelinischer Stil. Dutzende andere Beispiele für diesen flüchtigen Architekturstil gehen bei dem Erdbeben verloren. Eine elendig lange Menschenschlange reiht sich vorm Eingang in der Mittagshitze.

Das lassen wir lieber

Rechts die Rua de Belém an der die berühmte Fábrica de Pastéis de Belém liegt. Hier werden die ‘originalen’ Pastéis de nata hergestellt und verkauft. Wieder eine lange Menschenschlange am Eingang.

Die köstlichen Pastéis de nata verkauft in Portugal jede Bar und jeder Supermarkt. Erfunden haben sie die Mönche des Jerónimos Kloster im 18. Jahrhundert. Eiklar als Wäschestärke fürs Gewand, Eigelb für die Kucherl. Infolge der Revolução Liberal in die Krise geraten, verkaufen die Mönche 1834 das Rezept an eine Zuckerraffinerie. Ein paar Jahre später eröffnet diese hier die Fábrica die bis heute läuft. 20.000 pastéis verkaufen sich hier pro Tag.

Der Hunger treibt in ein finsteres Chinarestaurant gegenüber, ein Teller traurige Chow Mein. Kaffee und Mehlspeisen in der Pastelaria Versailles, Baba au rhum und Croissant aux amandes.

Eine Stunde mit dem Stadtbus zum Decathlon, Gaskartusche und endlich neue Heringe. Daheim kochen.

Am nächsten Morgen mit der Metro in den Bezirk Baixa. Die Straßen exakt rasterförmig angelegt, das Viertel wurde während des Erdbebens 1755 massiv beschädigt und im Anschluss komplett neu errichtet. Das und einiges mehr erfährt man im Lisbon Story Center, ein Video- und Audio-basiertes Museum zur Stadtgeschichte. Etwas trashy aber auch catchy.

Das Museum liegt direkt an der Praça do Comérçio. Auch der Platz wird nach dem Erdbeben neu gestaltet, ein u-förmiger Arkadenbau trennt ihn vom Bezirk Baixa, an der Südseite das Ufer des Tejo. Früher hieß der Platz Terreiro do Paço und grenzte an den Paço da Ribeira, das Stadtschloss Manuels I. am Ufer des Tejo. Man ahnt es schon, das Schloss zerstört beim Erdbeben. Bei dem Beben sterben 50.000 Menschen, ökonomischer Schaden im Ausmaß von gut einem Drittel der gesamten portugiesischen Wirtschaftsleistung.

Am Weg zur Kathedrale vorbei an der Casa dos Bicos, dem ‘Haus der Stacheln’. Die seltsame Stachelfassade aus Lioz Kalkstein erinnert an den Palazzo dei Diamanti in Ferrara. Und tatsächlich, der Auftraggeber Brás de Albuquerque lebt 1521 für einige Zeit in Italien und liebt die Architektur der italienischen Renaissance.

Die steilen Gassen hoch zur Kathedrale, der Vorplatz zugeparkt von Autorikschas. An der Biegung fährt die bummvolle 28er Bim vorbei, Postkartenmotiv.

Auf der Praça da Figueira in die Pastelaria Suíça. Die Qual der Wahl zwischen köstlichen Mehlspeisen. Zwei Croissants do Porto. Portugiesische Croissants sind nicht aus Blätter- sondern aus Briocheteig. Noch besser in etwas Portwein getränkt.

Am Abend sehr lange Busfahrt zum Ponte Vasco da Gama. Die Brücke überspannt den Tejo auf über 12 Kilometern Länge und ist nach der Krim-Brücke die zweitlängste Europas. Wieder 6 Spuren Autobahn, wieder kein Platz für zu Fuß Gehende oder Radelnde.

Die Tejo Promenade entlang zur Torre Vasco da Gama. Der mickrige Turm ist mit 145 Metern das höchste Gebäude Portugals. In dem weitläufigen modernen Viertel befindet sich die Feira Internacional de Lisboa, das Messegelände. Am Flussufer reihen sich hippe Restaurants. Im Zhang Lala einen Teller handgezogene ur scharfe Nudeln.

Leiwand

Weiterspazieren zum Centro Vasco da Gama, ein riesiges Shoppingcenter. Es ist halb 11 aber die Geschäfte sind noch bis Mitternacht offen. Dinge von denen Richard Lugner nachts träumt.

Weil hier gefühlt alles seinen Namen trägt: Vasco da Gama war ein portugiesischer Seefahrer der als Erster den Seeweg nach Indien findet.

Wenn man um halb 12 einkaufen geht

Porto

Zum kleinen Bahnhof Santa Apolónia radln und mit dem Intercity 4 Stunden nach Porto. Vom Bahnhof Campanhã in Porto Höllenritt zur Unterkunft. Porto ist nicht radgeeignet, ur steile Gassen und durchgehend grobes Pflaster. Die Straßen verstopft mit Autos, im Schneckentempo grantig und gestresst von Ampel zu Ampel.

Vom Gepäck befreit zur nähesten Radlwerkstatt, Velo Invicta Capas Peneda. Das winzige Geschäftslokal gesteckt voll mit Rädern aller Art. Der Mechaniker bestätigt meine Befürchtung, die Kette ist über-überlang und hat Ritzel und Kettenblätter verschlissen. Hilft nur mehr alles tauschen, zum Glück hat er passende Ersatzteile da, am nächsten Tag kann ich’s abholen.

Den restlichen Abend durch die Altstadt zum Rio Douro spazieren. Die Häuser in Porto schmal und in schön gemusterten Fliesen gekleidet. Kirchen und Statuen aus Granit, das Gestein kommt in der Gegend häufig vor.

Zum Francesinhas Al Forno da Baixa eine vegane Francesinha probieren. Ein käseüberbackener Toast in einer Suppe aus Tomaten, Bier und Senf, kann das gut sein?
Nein.

Am Ufer des Rio Douro Menschenmassen und Restaurants mit riesigen Schanigärten. Rechts der Blick auf die Fachwerkbrücke Ponte Dom Luís I. Am anderen Flussufer die Portweinkeller von Ferreira, Sandeman, Calem, etc.

Zurück in die Unterkunft, ein abgewohntes aber schönes dreistöckiges Haus mit Innenhof. Eine ausladende hölzerne Wendeltreppe führt zu den Zimmern. Pasta kochen in der offenen Wohnküche.

Am zweiten Tag zur Praça de Carlos Alberto und in der Banco de Materiais hunderte Fliesen anschauen. Überlegen welche am besten gefällt.

Die hier

Einen Katzensprung weiter zur Igreja do Carmo und der Fonte dos Leões. Die Westfassade der Barockkirche aus Granit ist von einem riesigen Azulejo bedeckt. Azulejos sind aus bemalten Fliesen zusammengesetzte Bilder.

Weiter Richtung Innenstadt zum Ufer des Rio Douro. Am erhöhten Gehsteig durch den Túnel da Ribeira und dahinter eine Stiege hoch zum Ponte Dom Luís I. Der obere Übergang ist für Bims und Fußgänger reserviert, unten fahren Autos.

Mit einer Pizza den Hunger stillen und runterspazieren zum linken Flussufer. Die Promenade vor den Portweinkellern ist bummvoll, in den Schanigärten verkosten Tourist:innen Portwein. Im Fluss schaukeln einige Rabelos, die fragil wirkenden dunklen Holzboote transportierten früher Weinfässer vom oberen Douro zu den Portweinkellern in Porto. Vor Errichtung der Eisenbahnlinie entlang des Douro Tals war dies der schnellste Weg. Heute reist der Wein im Lkw und die Rabelos sind nur mehr zum Anschauen da.

Im Touristenstrom über die untere Brücke zurück zum rechten Flussufer. Obwohl nur wenige Schritte von der bummvollen Promenade herrscht im Lokalgeschichtemuseum Casa do Infante gähnende Leere. Der Eintritt kostet fast nichts, zurecht.

Die steilen Gassen wieder hoch zum Bahnhof São Bento. Um den Bahnhof eng, eine riesige Baustelle für die neue Metrolinie versperrt den Blick auf das schöne Gebäude. Drinnen noch schöner, die große lichte Halle ist auf allen Seiten bedeckt von riesigen Azulejos.

Im Café Aliança am Rathausplatz endlich zwei Gläser Portwein. Abwechselnd am roten und weißen nippen und sich nicht entscheiden können welcher besser schmeckt.

Die Hosentasche voller Bargeld zwei Blocks weiter zum Radlmechaniker. Das Kona läuft wieder picobello, Kurbel, Ritzel, Kette und Hinterradbremsscheibe sind neu. 135 € Lehrgeld, eine Kette sollte man nicht 10.000 km fahren.

Braga

Der Zug nach Braga geht am frühen Nachmittag. Gepäck deponieren und auf einen letzten Schlenderer durch Porto. An der Rua das Carmelitas im Schanigarten vorm Amorino sitzen und schreiben. Zwei Straßenmusiker spielen Jazz, den Passeio entlang zur Torre dos Clérigos schauen.

Wieder am São Bento Bahnhof mit dem Ticketautomaten kämpfen. Genug Platz im Zug aber es fehlt eine Befestigungsmöglichkeit für die Räder. Die ganze Fahrt danebenstehen.

Wohnen an der Avenida Central, Räder wie immer in den obersten Stock tragen. Zufällig zur richtigen Zeit in Braga, es ist Braga Romana, im ganzen Stadtzentrum historisches Reenactment der Römerzeit. Braga, vor gut 2.000 Jahren noch Bracara Augusta, war Hauptstadt der römischen Provinz Gallaecia (das heutige Gebiet von Nordportugal, Galicia, Asturias und León).

Durch die Altstadt zieht sich ein langer Markt, die Marktstandler:innen in Tuniken und Sandalen verkaufen Holzschwerter, Seifen, Magiesteine, Gewürze, Haarkränze, Spanferkel, Baumkuchen, Crêpes … Ein Stamperl Ginja, einen portugiesischen Likör aus Sauerkirschen aus einem winzigen Tonfasserl trinken.

Abseits des Festivals ist Braga eine wunderschöne Stadt, ein altertümlicher wirkendes flaches Porto ohne Rio Douro und mit viel weniger internationalen Tourismus.

An mehreren Standorten veranstaltet man stündliche Shows, Führungen und Workshops. Am Nachmittag dem blutigen Jupiter-Ritual beiwohnen, nachts wilde Feuer-Akrobatik neben der Kathedrale.

Zwei Jahre alt und schon Pistaziencroissant essen

Nach einem Geburtstagsfrühstück zur Kathedrale von Braga. Die romanische Kirche ist fast 1.000 Jahre alt, das Interieur passend mystisch schummrig. Kontrast schafft eine absurd protzige Chorempore über dem Eingang.

Kaffeepause im Frigideiras do Cantinho, Postkarten schreiben und den Markttrubel beobachten. Das Mittagessen dem ausgiebigen Frühstück wegen ausfallen lassen. Am Nachmittag zum Waschsalon.

Am Abend marschiert ein endloser Triumphzug durch die Altstadt. Legionäre und Prätorianer führen die Kolonne an. Es folgt jede und jeder der irgendwie bei der Braga Romana beteiligt war. Wie sich endlich alle zur Schau gestellt haben werden die Absperrungen entfernt und wir gelangen in die Cocktailbar auf der anderen Straßenseite. Zwei Negroni auf Kathis Geburtstag.

Salve!

Vorm Schlafengehen noch zur Praça do Pópulo. In Scheinwerferlicht und ohrenbetäubendem Moderatorgeschrei werden Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe inszeniert. Reenactment-gesättigt heimgehen.

Endlich wieder radln.


Kommentare (3)

Geschichtsträchtige Erlebnisse und häufig Portwein, scheint euch zu schmecken 😉 Beste Wünsche und Grüße aus den Bergen
Alles Gute zum Geburtstag nachträglich 😉 und gemütliche, sichere und intetessante Weiterreise den beiden ciclistas🤗
Vielen lieben Dank 😊 💐

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