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Strandln

Anderthalb Monate unterwegs, 2.000 km durch Spanien. Durch Catalunya, Aragón, Valencia, Murcia und Andalucía. Castilla-La Mancha nur streifen. 6 der 15 autonomen Regionen Festland-Spaniens. Vieles gesehen und doch so wenig, ein haarfeiner roter Faden durch ein riesiges Land. Einen Tag entfernt von der Grenze zu Portugal.

Von Ronda nach Huelva

3. bis 6. Mai 2024

Räder bepacken im Innenhof der Unterkunft in Ronda

Das Ende der Berge erreicht. Rasant runter von der Anhöhe von Ronda und 15 km auf einer starkbefahrenen Schnellstraße zum Embalse de Zahara. Der Stausee wirkt ausgetrocknet und viel mickriger als auf der Karte. Es ist heiß, im Hintergrund die Gipfel der Sierra de Grazalema. An Zahara vorbeifahren und auf den Kaffee verzichten, der Ort liegt fast 100 Meter über der Straße. Eine steile kerzengrade Rampe runterbrettern und Mittagspause einlegen im Schatten eines Olivenbaums neben der Straße.

Schlapp und pickig vom Schweiß weiterradln durch hügeliges Weideland. Ein großer Schäferhund beobachtet stoisch mein Vorbeifahren und stürmt dann doch auf mich los. In Prado del Rey endlich einkehren auf ein eiskaltes Cola im Plastikplanen-Schanigarten bei La Taskita El Cruyff.

Nochmal 30 km nach Arcos de la Frontera, das heutige Ziel. In der Gegend einige Orte mit dem Beinamen de la Frontera, ‘an der Grenze’. Bis zum Ende der Reconquista, der Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Mauren im Jahr 1492, lag Arcos für zwei Jahrhunderte im Grenzgebiet zwischen den beiden Konfliktparteien. Beinahe eben nach Arcos, keine Berge mehr am Horizont.

Die Stadt liegt wie Ronda auf einem steilen Felsen. Die Häuser strahlend weiß in der Abendsonne. Mit letzter Kraft die Räder auf treppensteilen Gassen zur Unterkunft hochschieben. Das kleine Zimmer in der Altstadt geht auf einen netten Innenhof.

Die rostige Metallstiege hoch auf die aussichtsreiche Dachterrasse. Runterschauen auf die kleine Plaza del Cananaeo. Unten wummt der Bass von spanischer Tanzmusik durchs ganze Haus. Gazebo, Schanktisch und ein blumengeschmücktes Kreuz, in einem riesigen Topf brodeln Schnecken im Saft. Den ganzen Abend das Treiben beobachten.

Man feiert das Cruz de Mayo, am dritten Mai wurde laut katholischer Lehre das Heilige Kreuz entdeckt. Hermandades, christliche gemeinnützige Vereinigungen organisieren Prozessionen und schmücken große Kreuze. Für uns relevant, weil es am weiteren Streckenverlauf keine leistbaren Unterkünfte mehr gibt. Intensive fruchtlose Reiseplanung bis nach Mitternacht.

Beim Frühstück zwei Optionen am Tisch, noch eine Nacht ausruhen in Arcos oder gleich weiter auf eine sehr lange Etappe nach Sanlúcar de Barrameda und durch den Doñana Nationalpark. Unsere Gastgeberin kann unseren Aufenthalt nicht verlängern, also zampacken und losfahren.

Zu wenig Zeit im netten Arcos de la Frontera

30 km auf einer stillgelegten Nebenstraße der Autobahn nach Jerez de la Frontera. Wieder ein heißer Tag, es sind viele Rennradler:innen unterwegs. In Jerez leben über 200.000 Menschen, dementsprechend breit der Peripheriegürtel durch den wir uns auf einem nervtötenden Radweg schlängeln. Die Stadt ist der Geburtsort des Sherry, der Name des Weins abgeleitet vom arabischen Namen der Stadt, Sherīsh.

Auf der Plaza del Arenal ankommen, hungrig und abgeschlagen von der Hitze. Es gibt zu wenig Schatten. Planlos umherirren, an der schönen Kathedrale vorbeikommen. Der Hunger führt zum Kebab Porvera 49, Falafel-Dürüm, Pommes und Cola beleben die Geister. Endlich auf die Idee kommen abseits der Route ans Meer nach Chipiona zu radln und den restlichen Tag am Strand zu verbringen.

Die Kathedrale von Jerez

Die 30 km nach Sanlúcar und Chipiona zermürbender Gegenwind. Eine ruhige Straße über weite Hügel mit endlosen Ackerflächen und überall zerstreuten Windturbinen. Immer wieder Menschen in Pferdekutschen, wahrscheinlich des Feiertages wegen. Die Zeit und Kilometer vergehen langsam, abschalten hilft.

Zwei witzige Esel am Stadtrand von Jerez

In Chipiona am weiten Strand sitzen, das erste Mal auf der Reise am Atlantik. Es ist Ebbe, ein gut 10 Meter breiter Streifen feuchter harter Sand vor der Wasserlinie. Auf diesem Sand wollen wir morgen am Strand des Doñana Nationalparks 30 km nach Matalascañas und weiter nach Huelva radln. Meerestiefstand ist um 7 Uhr und 19 Uhr, also möglichst um 17 Uhr am Strand losradln.

Um Viertel nach 9 den Sonnenuntergang auslassen und einkaufen gehen, die Sonne steht immer noch handbreit über dem Horizont aber es ist frisch geworden im Wind.

Am nächsten Morgen hat der Wind gedreht, mit Schwung zurück nach Sanlúcar. Ein maroder Radweg durch eine Maulbeerbaumallee, Pflückpause. Auf dem Strand von Sanlúcar Mittagessen, was wie Meer ausschaut ist das Delta des Guadalquivir. Der Fluss trennt uns vom Doñana Nationalpark.

Ein kleines Fährschiff steht schon am Strand, die Rampe im Sand. Die Überfahrt ist für Radler:innen quasi alternativlos, der Umweg über Straßen kostet einen vollen Tag. Ich frage den kleinen alten Mann der gerade die Rampe vom Sand freischaufelt nach dem Zeitpunkt der nächsten Abfahrt. Die Sprachbarriere selbst für diese simple Frage zu groß. In einem Café hinterm Strand die Fähre beobachten, jede volle Stunde ans andere Ufer und direkt zurück.

Warten auf die Fähre

Um 3 nochmal hin, wir wollen übersetzen und dort auf die Ebbe warten. Der Matrose erklärt wild gestikulierend, dass wir dort noch nicht radln können, der Sand sei zu weich. Dass wir das wissen und drüben warten wollen sieht er nicht ein. Um 4 nochmal hingehen, wieder will er abwimmeln aber wie der Motor startet winkt er uns her, hektisch zusammenpacken.

Am Boot in voller Fahrt merke ich, dass mein Handy fehlt, es liegt noch im Sand, zurückgelassen in der Hektik. Die Fahrt dauert nur 5 Minuten, der Fluss gerade mal 300 Meter breit. Am anderen Ufer nochmal verzweifelt alle Taschen durchsuchen. Resigniert in den Sand sinken und auf die Fähre warten.

Auweia!

Schon eine halbe Stunde später bringt die Fähre einen Schwarm Deutsche Rentner. Ich frage einen Mann an der Spitze, ob jemand in ihrer Gruppe am andern Ufer vielleicht mein Handy gefunden hat. Haben wir nicht gesehen, meint er einsilbig ohne stehen zu bleiben und greift nach seiner Kamera mit Teleskopobjektiv, um den Tourbus im Sand vor ihm abzulichten. Eine dicke Frau kommt eben von der Fähre und ruft Abenteuer!.

Der Matrose steht in seinen Turnschuhen im Wasser und hilft den Deutschen, trocken von der Fähre zu kommen. Stirnrunzeln, wie er mich sieht. Ich halte ihm Kathi’s Handy mit einem erklärenden Satz auf Google Translate hin. Er liest laut den Finger mitführend, schaut mich mitleidig an und winkt mich aufs Boot.

Das Handy liegt unbeschadet neben einem Pärchen im Sand. Der Matrose freut sich mit mir. Auf der Rückfahrt schärft er mir noch einige Male ein, dass wir am festen Sand radln müssten. Am Ende wiederholt er mehrmals einen Satz den ich nicht verstehe. Er zeigt auf mein Handy, ich öffne Google Translate und er spricht hinein, Viel Glück und gute Fahrt.

Um 5 bin ich nochmal 10 € ärmer, aber erleichtert wieder bei Kathi und den Rädern. Das Meer hat inzwischen einen breiten Streifen feuchten festen Sand freigegeben. Losradln.

Trotz festem Sand deutlich mehr Rollwiderstand als am Asphalt. Das Gefühl, direkt am Wasser zu radln einzigartig. Immer wieder Fischer in kleinen Gruppen am breiten Strand. Ihre langen Ruten stecken im Sand, die Leinen glänzen in der Sonne, Kopf einziehen. Die Fischer sind auf E-Bikes mit dicken Reifen gekommen. Es gibt hierher keine Straße, hinter der Düne nur weitere Dünen.

Der Doñana Nationalpark ist einer der letzten Rückzugsorte des stark bedrohten Pardelluchses. Auch der Park selbst ist stark von Austrocknung bedroht, der Anbau von Erdbeeren im Umland benötigt viel Grundwasser.

Trotz Rückenwind nur langsam vorankommen. Immer wieder längere Abschnitte weicheren Sandes in dem die Hinterräder einsinken. Immer mehr Sand auf Kette und Ritzeln, der Antrieb kreischt hör- und spürbar beim Treten. 4 Stunden Fahrt für 30 km Strand.

Radln mit Sand im Getriebe

Matalascañas liegt direkt am Meer an der Grenze zum Nationalpark. Das günstigste Zimmer im Ort buchen, unerwarteter Luxus im Moon Dreams El Cortijo mit 4 Sternen. Traurig, nur zum Schlafen hierzusein.

Am nächsten Tag an einem Spielplatz in der Nähe die Räder vom Sand befreien und schmieren. Eine gute Stunde Arbeit, dafür wieder einigermaßen knirschfrei radln.

50 km nach Huelva, die ersten 30 von fast auf einer Landstraße durch die Ausläufer des Nationalparks. Endlose Wälder von Pinien im gelben Sand, Gegenwind.

Nach Mazagón auf einer höherrangigen Straße durch das Industriegebiet von Huelva. Schlingern im Sog vorbeifahrender LKWs, die Sonnenbrillen schnell staubig. Vorbei an der riesigen Raffinerie, über die Autobahnbrücke und durch den Hafen in die Stadt.

Im östlichen Teil der Stadt viele Plattenbauten. In einem davon unser Zimmer in einer netten Wohnung im dritten Stock.

Sevilla

7. Mai 2024

Tagesausflug mit dem Bus nach Sevilla. Um 10 mit dem Stadtbus zum Busbahnhof von Huelva. Stress, Google Maps weiß nicht gut Bescheid. Im Stadtbus stickig heiß, heute wieder die 30 Grad knacken.

Am Busbahnhof reihen sich die Reisebusse, es gibt keine Infotafel zu den Abfahrten. Bei der längsten Schlange nachfragen, wir sind richtig. Menschen betteln bei den Wartenden um Geld, dann beginnt das Einsteigen.

Ein alter Herr hinter mir stupst mich an und grummelt etwas. Ich lächle und drehe mich wieder um, dann noch ein Stupser und lauteres Grummeln, er zeigt nach hinten, wir sollen uns hinten anstellen, dabei waren wir vor ihm da. Die Mutter, die vor uns in der Schlange steht um ihren Sohn zu verabschieden schreitet ein und diskutiert mit dem Mann. Auf Englisch erklärt sie uns, dass nicht immer alle Platz finden im Bus, der Mann fürchtet um seinen Platz. Diesmal haben alle Platz. Jetzt schon erschöpft.

In Sevilla nochmal Busfahren in Richtung Plaza de España. Einen Snack im Supermarkt holen und auf eine Stiege auf der Plaza setzen. Im kühlen Schatten Erdbeeren essen und den Trubel beobachten.

Musikalische Untermalung auf der Plaza de España

Die Plaza ein riesiger Halbkreis, erbaut 1928 für die Iberoamerikanische Weltausstellung. Entlangspazieren unter den scheinbar endlosen Arkaden, bunte Fliesen und Verzierungen im Neo-Mudéjar-Stil. An den Wänden in regelmäßigen Abständen Wappen und Karte jeder der 50 spanischen Provinzen.

Weitergehen in Richtung Kathedrale. Sevilla ist voller Tourist:innen, aber die Altstadt ist riesig und gut spazierbar. Unzählige Plätze und schattenspendende Bäumen. Im Starbucks runterkühlen bei einem großen Glas Cold Brew mit viel Eis. Dem Geschwätz der internationalen Gäste lauschen.

Ein Packerl Schlauchflicken beim Decathlon holen und weiter zu den Setas de Sevilla, den ‘Pilzen von Sevilla’. Die fliesende netzartige Konstruktion besteht fast ausschließlich aus Holz und schafft 3.000 m² beschatteten und konsumfreien Aufenthaltsraum. Zusammengesetzt aus rund 3.400 Modulen, über 3.500 m³ Furnierschichtholz.

In der Bar El Comercio ein Glas vino de naranja trinken und den flink arbeitenden Barkeepern bei der Arbeit zuschauen. Vino de naranja ist ein mit der Schale der Bitterorange aromatisierter Likörwein der in der Gegend von Huelva hergestellt wird.

Die Gassen werden schattiger, nochmal vorbei an der Kathedrale. Auf einer Stufe sitzen im Schatten der Giralda, dem ehemaligen Minarett der Hauptmoschee und heute Glockenturm der Kathedrale. Die Kutschenpferde bemitleiden.

Zur versteckten Plaza del Cabildo und am Brunnen sitzen. Vor den kunstvoll bemalten Arkaden dreht eine Influencerin peinliche Videos.

Eine Portion Chocolate con Churros teilen und müde zum Busbahnhof. Die Rückfahrt ohne Zwischenfälle. Morgen nach Portugal.


Kommentare (1)

Danke für den interessanten Reisebericht Und alles gute euch zwei 🥰🤗

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